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  • Henning Krischke
  • 10. Oktober 2025

Gefährdete Selbstbestimmung: Vorsorgevollmacht zwischen Vertrauen, Missbrauch und Schutzpflichten

  • 5 Min. Lesezeit
  • Absichern & Vorsorgen
Gefährdete Selbstbestimmung: Vorsorgevollmacht zwischen Vertrauen, Missbrauch und Schutzpflichten

Die Vorsorgevollmacht gilt in der Finanz- und Nachfolgeplanung als zentrales Instrument zur Sicherung von Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit im Alter oder bei Krankheit. Doch aktuelle Fälle und juristische Erfahrungen zeigen eine alarmierende Entwicklung: Immer häufiger wird die Vollmacht zum Einfallstor für systematischen Vermögensentzug, Missbrauch und faktische Enteignung. Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Schwachstellen, gesellschaftlichen Dynamiken und zeigt konkrete Empfehlungen für Beraterinnen und Berater auf, die ihre Mandanten präventiv schützen wollen.

Die Vorsorgevollmacht im System der Nachfolgeplanung
Funktion und Bedeutung

Die Vorsorgevollmacht ermöglicht es, eine Vertrauensperson mit weitreichenden Entscheidungskompetenzen auszustatten – in Vermögensangelegenheiten, bei Gesundheitsfragen und im Umgang mit Behörden. Damit stellt sie ein zentrales Element der persönlichen und familiären Vorsorgeplanung dar.

Abgrenzung zur gesetzlichen Betreuung

Im Unterschied zur gerichtlich angeordneten Betreuung ist die Vorsorgevollmacht Ausdruck privater Autonomie – aber genau hier liegt das Risiko: Ohne gerichtliche Kontrolle und regelmäßige Prüfung bleibt der Handlungsspielraum des Bevollmächtigten nahezu unbegrenzt.

Die stille Aushöhlung von Vermögen – Missbrauch in der Praxis
Missbrauchsmuster und typische Konstellationen

In der Praxis häufen sich Konstellationen, in denen Bevollmächtigte ihr Mandat missbrauchen. Besonders gefährdet sind ältere oder pflegebedürftige Personen, deren kognitive Fähigkeiten eingeschränkt sind oder deren Umfeld stark von familiärer Nähe und Loyalität geprägt ist.

Zu den häufigsten Mustern zählen:

Unkontrollierte Bargeldabhebungen vom Konto des Vollmachtgebers

Übertragung oder Verkauf von Immobilien unter Marktwert

Umstrukturierung von Depots und Konten zugunsten des Bevollmächtigten oder Dritter

Manipulation testamentarischer Regelungen unter dem Deckmantel der Fürsorge

Drei Fallbeispiele aus der Praxis

Fall 1: Vermögensabfluss durch Pflegekosten
Eine Tochter mit umfassender Vorsorgevollmacht hebt über zwei Jahre regelmäßig Geld vom Konto ihrer Mutter ab, um angebliche Pflegeleistungen zu begleichen. Erst durch die Bankberatung und die Einschaltung eines Kontrollbevollmächtigten wird der Abfluss in Höhe von über 150.000 Euro gestoppt.

Fall 2: Immobilienverkauf ohne Rücksprache
Ein Neffe verkauft die Eigentumswohnung seines Onkels, der sich in stationärer Pflege befindet, an eine Bekannte – deutlich unter Verkehrswert. Es existiert zwar eine Vorsorgevollmacht, aber kein dokumentierter Wille für einen Verkauf. Eine Rückabwicklung scheitert am fehlenden Nachweis des mutmaßlichen Willens.

Fall 3: Depotumbuchung im Erbstreit
Kurz vor dem Tod eines Mandanten veranlasst der Bevollmächtigte – ein Schwiegersohn – eine Depotübertragung auf ein Gemeinschaftskonto mit seiner Ehefrau. Die übrigen Kinder bleiben außen vor. Die Erben streiten bis heute um die Rückabwicklung.

Rechtliche Lücken und praktische Grenzen
Strafrechtlich schwer zu fassen

Der Missbrauch einer Vorsorgevollmacht ist juristisch schwer greifbar. Die strafrechtliche Verfolgung scheitert oft an der fehlenden Nachweisbarkeit von Vorsatz oder dem sogenannten „mutmaßlichen Willen“. Innerfamiliäre Konflikte werden von Ermittlungsbehörden häufig als nicht öffentlich relevant eingestuft.

Keine institutionelle Kontrolle vorgesehen

Im Gegensatz zur gerichtlich angeordneten Betreuung besteht bei Vorsorgevollmachten keine Pflicht zur Rechenschaftslegung. Auch eine unabhängige Überwachung des Bevollmächtigten – etwa durch Kontrollinstanzen oder Aufsichtsstellen – ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Reformen ohne Biss?

Trotz der Gesetzesnovelle im Jahr 2023, die das Selbstbestimmungsrecht stärken sollte, fehlt es weiterhin an verbindlichen Vorgaben zur Dokumentation der Geschäftsfähigkeit, zur Einsetzung eines Kontrollbevollmächtigten oder zur Pflicht zur Anhörung bei wesentlichen Vermögensverfügungen.

Internationale Perspektiven und Vergleichsmodelle
USA: Schutz durch den Elder Justice Act

In den Vereinigten Staaten existieren auf Bundes- und Bundesstaatenebene spezielle Schutzgesetze gegen den Missbrauch älterer Menschen. Der Elder Justice Act verpflichtet Behörden zur Verfolgung und Prävention von Vermögensausbeutung, unterstützt durch staatlich finanzierte Task Forces und geschützte Meldewege.

Frankreich: Strafbarkeit bei Ausnutzung von Schwäche

Das französische Strafrecht kennt mit dem Tatbestand „Abus de la faiblesse“ eine Regelung, die die Ausnutzung einer alters- oder gesundheitsbedingten Schwäche unter Strafe stellt – auch wenn eine formale Einwilligung vorliegt. Besonders geschützt werden ältere, kranke oder abhängige Personen.

Handlungsempfehlungen für Berater in der Finanz- und Nachfolgeplanung
Strukturelle Sicherheitsvorkehrungen

Notarielle Beurkundung: Gerade bei größeren Vermögen sollte die Vollmacht immer notariell erstellt werden – inklusive Protokoll zur Geschäftsfähigkeit.

Kontrollbevollmächtigter: Eine neutrale Person mit Einsichtsrechten, idealerweise außerhalb des familiären Umfelds, sollte ergänzend benannt werden.

Modulare Gestaltung: Einzelvollmachten für unterschiedliche Lebensbereiche (z. B. Bank, Immobilien, Gesundheit) statt pauschaler Generalvollmachten.

Dokumentation und Compliance

Protokollführung: Der Bevollmächtigte sollte zur laufenden Dokumentation seiner Maßnahmen verpflichtet werden – idealerweise mit Belegpflicht und nachvollziehbarer Ausgabenstruktur.

Offenlegungspflichten: Die Familie oder ein Kontrollgremium sollte regelmäßig informiert werden. Transparenz ist das wirksamste Mittel gegen verdeckten Missbrauch.

Kommunikation und Sensibilisierung

Familieninterne Klärung: Ein moderierter Familienrat oder eine dokumentierte Konsensrunde kann spätere Konflikte vermeiden.

Schulungsangebote: Angehörige und potenzielle Bevollmächtigte sollten für Risiken und Haftungsfragen sensibilisiert werden.

Regelmäßige Überprüfung: Die Lebenssituation, die familiäre Dynamik und die Verhältnisse des Vollmachtgebers ändern sich – und damit auch die Anforderungen an die Vollmacht.

Fazit

Die Vorsorgevollmacht ist ein mächtiges Instrument – und ein potenziell gefährliches. Wer die rechtlichen Risiken ignoriert, öffnet Missbrauch Tür und Tor. Es braucht nicht mehr Vertrauen, sondern mehr Kontrolle. Finanz- und Nachfolgeplaner sind in der Pflicht, ihre Mandanten zu informieren, zu strukturieren und zu schützen – mit professionellen, transparenten und überprüfbaren Vollmachtskonzepten. Nur so wird aus guter Absicht echte Vorsorge.

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