Auf dem 5. Wissensforum Heilberufe zeigte die Praxisberaterin Heike Junge-Rappenberg, welche zentrale Rolle die Abrechnung bei der Praxisnachfolge spielt – und warum EBM, GOÄ und IGeL-Leistungen für den Wert einer Praxis oft wichtiger sind als neue Geräte oder frische Farbe.
Die selbständige Beraterin begleitet bundesweit haus- und fachärztliche Praxen, MVZ und Kliniken. Ihr Fokus liegt auf der Honorar- und Privatabrechnung (EBM, GOÄ, UV-GOÄ) im Bereich Humanmedizin. Ihre zentrale Botschaft: Wer eine Praxis übergibt oder übernimmt, sollte die Abrechnung nicht als Nebenthema behandeln, sondern als zentralen wirtschaftlichen Hebel.
Demografie, Entbudgetierung, GOÄ neu
Junge-Rappenberg ordnete die Praxisnachfolge in ein Umfeld tiefgreifender Veränderungen ein: Die Babyboomer gehen in Rente, Hausarztsitze bleiben zunehmend unbesetzt. Sie schilderte Fälle, in denen Kassenpraxen mangels Nachfolger nur noch privatärztlich weitergeführt werden – mit Folgen für die regionale Versorgung und Konfliktpotenzial gegenüber GKV-Patienten.
Parallel verändern zwei Themen die Ertragslage:
- die bundesweite Entbudgetierung der Hausärzte,
- die geplante „GOÄ neu”, die mehr Honorar für sprechende Medizin und weniger für viele technische Leistungen bringen dürfte.
Wann die GOÄ neu tatsächlich kommt, ist offen, aber ihre Wirkung auf Honorare und Nachfolgeentscheidungen ist absehbar.
Praxiswert beginnt beim Honorarbescheid
Im Unterschied zu betriebswirtschaftlich geprägten Ansätzen konzentriert sich Junge-Rappenberg auf die Abrechnung als Ertragsbasis. Für sie ist der Honorarbescheid der KV – ergänzt um Privat- und IGeL-Abrechnung – ein zentrales Fundament der Praxisbewertung.
An einem KV-Bescheid aus Nordrhein zeigte sie, wie Honorarpotenzial identifiziert werden kann: Wurden etwa 107.000 Euro angefordert, aber nur rund 92.000 Euro vergütet, bleiben ca. 13.000 Euro unbezahlt. Durch die Entbudgetierung kann ein Teil dieses Betrags künftig zusätzlich erlöst werden – eine wichtige Größe, etwa bei der Entscheidung, ob eine Weiterbildungsassistentin als angestellte Ärztin übernommen werden kann. Für Banker und Finanzplaner ist der strukturierte Blick auf „angefordert vs. ausgezahlt” ein einfacher Einstieg in die Analyse.
Vier Blickwinkel in der Nachfolge
Junge-Rappenberg betonte, dass Praxisnachfolge aus mehreren Perspektiven betrachtet werden muss:
- Abgeber: Saubere, vollständige und rechtssichere Abrechnung erhöht Ertragskraft und Verkaufspreis. Ungenutzte Potenziale in EBM, GOÄ und IGeL sollten schon Jahre vor Übergabe gehoben werden.
- Übernehmer: Er oder sie muss prüfen, ob das bisherige Leistungsportfolio fachlich und organisatorisch fortgeführt werden kann; Fachwechsel (z.B. Kardiologe übernimmt Hausarztsitz) verändern die Abrechnungsstruktur.
- MFA-Team: Delegierbare Leistungen (Funktionsdiagnostik, Hausbesuche durch VERAH u.Ä.) tragen wesentlich zum Umsatz bei. Änderungen in IGeL- und GOÄ-Systematik bedeuten für das Team teils erhebliche Umstellungen.
- Patienten: Mit einem neuen Praxisinhaber ändern sich Abläufe, Eigenbeteiligungen und IGeL-Angebote. Korrekte, GOÄ-basierte und vertraglich saubere IGeL-Abrechnung kann für Patienten erklärungsbedürftig sein, ist aber rechtlich zwingend.
Abrechnung als strategischer Hebel
Die Referentin zeigte, wie sich die Wirtschaftlichkeit einer Praxis durch professionelle Abrechnung verbessert:
- im EBM durch bessere Nutzung des Leistungskatalogs, Delegation und konsequente Dokumentation,
- in der GOÄ durch Steigerungsfaktoren und analoge Bewertungen für neue Verfahren,
- im IGeL-Bereich durch rechtssichere, transparente Angebote statt pauschaler Barzahlungen ohne Rechnung.
Ihr Fazit: Praxisnachfolge ist weit mehr als „neuer Chef, neue Chefin, neue Geräte”. Eine gelungene Übergabe beginnt lange vor dem Stichtag – und sie beginnt bei der Abrechnung.