
Die finanzielle Verantwortung für Kinder liegt in erster Linie bei deren Eltern. Doch in besonderen Fällen kann die Unterhaltspflicht auf die Großeltern übergehen. Der sogenannte Großelternunterhalt ist ein wenig bekanntes, aber rechtlich klar geregeltes Thema, das in Zeiten steigender finanzieller Belastungen zunehmend relevant wird. Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, praktische Anwendungsbeispiele und die Bedeutung für Finanz- und Nachfolgeplaner.
Rechtliche Grundlagen: Unterhaltspflicht in gerader Linie
Die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten ist in § 1601 BGB geregelt. Dort heißt es: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ Diese Vorschrift gilt nicht nur für Eltern, sondern auch für Großeltern, wenn die Elternteile nicht in der Lage sind, den Unterhalt ihrer Kinder zu leisten.
Ein zentraler rechtlicher Bezugspunkt ist der Beschluss des Bundesgerichtshofs (Az. XII ZB 123/21). Dieses Urteil hat die Unterhaltspflicht der Großeltern konkretisiert und wichtige Leitlinien für die Praxis aufgestellt.
Das Urteil Az. XII ZB 123/21: Sachverhalt und Entscheidung
Sachverhalt
In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um ein minderjähriges Kind, dessen Elternteile finanziell nicht in der Lage waren, den notwendigen Unterhalt zu leisten. Der Vater war dauerhaft arbeitslos, und die Mutter verfügte über ein so niedriges Einkommen, dass der Kindesunterhalt nicht gedeckt werden konnte.
Das Jugendamt war in Vorleistung gegangen, um den Bedarf des Kindes zu sichern, und forderte anschließend Regress von den Großeltern väterlicherseits. Diese wurden aufgefordert, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben, was die Grundlage für eine mögliche Unterhaltspflicht bildete.
Die Großeltern argumentierten, dass die Verpflichtung, für den Unterhalt des Enkelkindes aufzukommen, nicht in ihrem finanziellen Rahmen liege, und lehnten die Zahlung ab.
Entscheidung des BGH
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Unterhaltspflicht der Großeltern und stellte klar, dass die gesetzliche Regelung in § 1601 BGB auch in solchen Fällen greift, in denen Elternteile dauerhaft nicht leistungsfähig sind. Dabei wurden folgende Leitlinien hervorgehoben:
- Subsidiarität:
Großelternunterhalt ist eine sekundäre Verpflichtung. Er tritt nur dann in Kraft, wenn beide Elternteile nicht in der Lage sind, den Unterhalt sicherzustellen. - Selbstbehalt:
Der BGH betonte die Schutzfunktion des Selbstbehalts, der bei Großeltern höher liegt als bei Eltern. Konkret beträgt dieser 2.000 Euro monatlich plus 50 % des darüber liegenden Einkommens. - Prüfung der Leistungsfähigkeit:
Die Großeltern wurden verpflichtet, Auskunft über ihre finanziellen Verhältnisse zu erteilen. Der BGH stellte jedoch klar, dass diese Pflicht nicht automatisch bedeutet, dass die Großeltern uneingeschränkt haften. Nur das Einkommen, das über den Selbstbehalt hinausgeht, kann herangezogen werden. - Kindeswohl:
Das Kindeswohl hat Vorrang. Wenn die Elternteile dauerhaft nicht in der Lage sind, ihren Unterhaltspflichten nachzukommen, ist es legitim, dass Großeltern in die Verantwortung genommen werden, sofern ihre Leistungsfähigkeit dies erlaubt.
Großelternunterhalt vs. Elternunterhalt – eine klare Abgrenzung
Um den Großelternunterhalt besser zu verstehen, ist es hilfreich, ihn mit dem Elternunterhalt zu vergleichen. Beide Unterhaltsformen basieren auf der gesetzlichen Verpflichtung nach § 1601 BGB, jedoch mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Zielsetzungen.
Elternunterhalt
Der Elternunterhalt beschreibt die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern, die eintritt, wenn Eltern pflegebedürftig werden und ihre eigenen Mittel, wie Rente oder Vermögen, nicht ausreichen, um die Pflegekosten zu decken.
Großelternunterhalt
Der Großelternunterhalt hingegen betrifft die Verpflichtung der Großeltern, den Unterhalt ihrer Enkel zu sichern, wenn die Eltern hierzu nicht in der Lage sind. Hier steht das Kindeswohl im Vordergrund. Diese Verpflichtung greift nur dann, wenn weder die Eltern noch andere gesetzlich verpflichtete Personen den Unterhalt sicherstellen können.
Praktische Besonderheiten
Der Großelternunterhalt ist rechtlich und praktisch besonders. Beispielsweise können alle vier Großelternteile unabhängig voneinander herangezogen werden, je nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit.
Bei der Berechnung werden alle Einkünfte der Großeltern berücksichtigt, einschließlich Renten und Kapitaleinkünfte. Die Höhe des Unterhalts richtet sich jedoch nicht nach dem Einkommen der Großeltern, sondern nach den Unterhaltsbedarfen der Kinder gemäß der Düsseldorfer Tabelle.
Fazit
Das Urteil des Bundesgerichtshofs hat klargestellt, dass Großelternunterhalt in besonderen Fällen eine rechtlich zwingende Verpflichtung darstellt. Für Finanz- und Nachfolgeplaner ist es essenziell, Mandanten über diese potenziellen Risiken zu informieren und Strategien zu entwickeln, um finanzielle Belastungen zu minimieren. Eine vorausschauende Planung kann dazu beitragen, Konflikte zu vermeiden und das Familienwohl langfristig zu sichern.