
Die steuerliche Gestaltung der Stunde: Von der Grauzone zur Strafbarkeit
Die Finanzwelt diskutiert intensiv über Cum-Cum-Geschäfte, jene Steuergestaltungsmodelle, die lange im Schatten der bekannteren Cum-Ex-Praktiken standen. Während letztere bereits seit Jahren durch Gerichte aufgearbeitet werden, rücken nun auch Cum-Cum-Transaktionen verstärkt in den Fokus der Ermittlungsbehörden. Dies zeigt sich insbesondere durch eine wegweisende Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom Dezember 2024, die erstmals eine Anklage wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Cum-Cum-Geschäften zuließ – ein Wendepunkt in der rechtlichen Bewertung dieser lange geduldeten Praxis.
Funktionsweise von Cum-Cum: Das Steuersparmodell im Detail
Cum-Cum bezeichnet eine spezielle Form von Wertpapiertransaktionen, bei denen Aktien strategisch rund um den Dividendenstichtag zwischen ausländischen und inländischen Investoren verschoben werden. Der technische Ablauf folgt einem präzisen Schema:
- Ausgangssituation: Ausländische Investoren halten Aktien deutscher Unternehmen und müssten auf Dividenden eine Kapitalertragsteuer von 25% entrichten. Diese können sie sich – anders als inländische Investoren – nur teilweise oder gar nicht vom deutschen Fiskus zurückerstatten lassen.
- Übertragung vor Dividendenstichtag: Um diese Steuerlast zu umgehen, übertragen die ausländischen Anleger ihre Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag an einen inländischen Investor (typischerweise eine deutsche Bank oder Kapitalgesellschaft).
- Dividendeneingang und Steueranrechnung: Der inländische Investor erhält die Dividende und kann sich die einbehaltene Kapitalertragsteuer aufgrund seiner steuerlichen Privilegien vollständig anrechnen oder erstatten lassen.
- Rückübertragung nach Dividendenstichtag: Nach der Dividendenausschüttung werden die Aktien wieder an den ausländischen Investor zurückübertragen.
- Gewinnaufteilung: Der erzielte Steuervorteil wird zwischen den beteiligten Parteien aufgeteilt, wobei der ausländische Investor meist etwa 95% der Dividende erhält und der inländische Partner die restlichen 5% als Gebühr einbehält.
Das finanzielle Resultat: Der ausländische Investor erhält faktisch eine nahezu steuerfreie Dividende, während der deutsche Fiskus um Steuereinnahmen gebracht wird, die bei ordnungsgemäßer Besteuerung angefallen wären.
Rechtliche Einordnung: Die juristische Wende
Die rechtliche Einordnung von Cum-Cum-Geschäften hat sich in den vergangenen Jahren fundamental gewandelt:
Frühere Bewertung:
Lange Zeit wurden diese Transaktionen als legale Steuergestaltung angesehen, die eine in der Gesetzgebung bewusst oder unbewusst gelassene Lücke nutzt.
Aktuelle rechtliche Sicht:
Inzwischen werden Cum-Cum-Geschäfte überwiegend als missbräuchliche Steuergestaltung gemäß § 42 der Abgabenordnung eingestuft. Der Bundesfinanzhof hat bereits 2015 die steuerrechtliche Zulässigkeit solcher Modelle verneint (Az. I R 88/13). Entscheidend ist die Frage, ob bei den Transaktionen tatsächlich das wirtschaftliche Eigentum übergeht – was das Bundesfinanzministerium in seinem Schreiben vom 9. Juli 2021 grundsätzlich verneint.
Die strafrechtliche Dimension: Ein Paradigmenwechsel
Die strafrechtliche Aufarbeitung von Cum-Cum-Geschäften nimmt nun Fahrt auf. Der Beschluss des OLG Frankfurt vom 10. Dezember 2024 (Az. 3 Ws 231/24) markiert einen juristischen Wendepunkt:
- Erste Anklage zugelassen: Das OLG Frankfurt hat gegen fünf ehemalige Manager der Deutschen Pfandbriefbank eine Anklage wegen Steuerhinterziehung bzw. Beihilfe zur Steuerhinterziehung zugelassen – ihnen drohen Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren.
- Signalwirkung für die Branche: Diese Entscheidung dürfte bundesweit weitere Anklagen nach sich ziehen. Einer früheren Umfrage der BaFin zufolge haben 54 Banken eingeräumt, an Cum-Cum-Geschäften beteiligt gewesen zu sein.
- Offenlegungspflichten verschärft: Das OLG Frankfurt betont in seiner Entscheidung, dass Steuerpflichtige alle für die steuerliche Beurteilung relevanten Informationen offenlegen müssen – nicht nur ausgewählte Aspekte. Eine unvollständige Darstellung könne bereits den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen.
- Rückwirkende Betrachtung: Bemerkenswert ist auch, dass das OLG davon ausgeht, dass bereits zum Tatzeitpunkt (2004-2006) die gleichen rechtlichen Maßstäbe für die Beurteilung des wirtschaftlichen Eigentums galten wie heute – ein Aspekt, der viele Beteiligte überraschen dürfte.
Praxisbeispiel: Der Fall der DekaBank
Ein aktuelles Beispiel für die finanziellen Folgen von Cum-Cum-Geschäften zeigt der Fall der DekaBank. Das Wertpapierhaus der Sparkassen musste jüngst rund 500 Millionen Euro an Steuern nachzahlen. Allerdings hält das Institut die Forderungen nicht für berechtigt und hat gegen alle Bescheide Einspruch eingelegt – mit der Bereitschaft, bis in die letzte Instanz zu gehen.
Die DekaBank argumentiert, dass gemäß eines BMF-Rundschreibens vom 17. Juli 2017 bei Cum-Cum-Transaktionen mit der Einbuchung der Wertpapiere in das Depot des Entleihers vor dem Dividendenstichtag das zivilrechtliche und grundsätzlich auch das wirtschaftliche Eigentum überginge. Diese Position steht allerdings im Widerspruch zum späteren BMF-Schreiben vom 9. Juli 2021, das diesen wirtschaftlichen Übergang verneint.
Zeitdruck durch neue Gesetzgebung
Ein kritischer Aspekt in der Aufarbeitung von Cum-Cum-Geschäften ist die im Oktober 2024 beschlossene Änderung der Aufbewahrungsfristen im Rahmen des Bürokratieentlastungsgesetzes IV. Die Aufbewahrungspflicht für Buchungsbelege wurde von zehn auf acht Jahre verkürzt, während die Verjährungsfrist für schwere Steuerhinterziehung bei 15 Jahren liegt.
Diese Diskrepanz bedeutet: Banken und andere Finanzinstitute können nun legal Beweismittel vernichten, obwohl sie rechtlich noch belangt werden könnten. Für Ermittlungsbehörden entsteht dadurch ein erheblicher Zeitdruck, relevante Beweise zu sichern.
Einziger Lichtblick: Für Unternehmen unter Aufsicht der BaFin gilt eine Übergangsfrist – das Gesetz greift für sie erst ein Jahr später. Dieses Zeitfenster müssen Ermittlungsbehörden nun nutzen, um Beweise zu sichern.
Abgrenzung zu Cum-Ex
Der wesentliche Unterschied zwischen Cum-Cum und den medienwirksameren Cum-Ex-Geschäften liegt in der Art der Steuervermeidung:
- Cum-Cum: Zielt darauf ab, die Kapitalertragsteuer auf Dividenden für ausländische Investoren zu umgehen, indem die günstigeren steuerlichen Rahmenbedingungen inländischer Investoren genutzt werden. Die Steuer wird einmal nicht gezahlt.
- Cum-Ex: Hier wird die einmal gezahlte Kapitalertragsteuer durch ein komplexes System von Leerverkäufen mehrfach vom Fiskus erstattet, obwohl sie nur einmal gezahlt wurde.
Finanzielle Dimension und Folgen für den Staat
Der durch Cum-Cum-Geschäfte entstandene Schaden für den deutschen Fiskus wird auf mindestens 28,5 Milliarden Euro geschätzt. Zusammen mit den Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um den größten Steuerraub in der deutschen Geschichte.
Bislang wurde nur ein Bruchteil dieser Summe zurückgeholt. Die BaFin schätzt die potenziellen Belastungen durch Rückforderungen aus Cum-Cum-Geschäften auf gut 4,6 Milliarden Euro – eine erhebliche Summe, die aber weit unter dem tatsächlichen Schaden liegt.
Rechtliche Risiken für Beteiligte und Handlungsempfehlungen
Für Finanz- und Nachfolgeberater ergeben sich aus der veränderten rechtlichen Bewertung von Cum-Cum-Geschäften erhebliche Handlungsimplikationen:
- Umfassende Prüfung vergangener Transaktionen: Beteiligte an Cum-Cum-Geschäften sollten dringend ihre steuerlichen Erklärungen und mögliche Berichtigungspflichten prüfen.
- Beurteilung des wirtschaftlichen Eigentumsübergangs: Die zentrale juristische Frage ist, ob bei den Transaktionen tatsächlich das wirtschaftliche Eigentum übergegangen ist. Dieser Aspekt sollte für jede Transaktion individuell bewertet werden.
- Bewertung eingeholter Rechtsgutachten: Das OLG Frankfurt hat die entlastende Wirkung von Rechtsgutachten relativiert. Entscheidend sei, ob es sich um “ergebnisoffene Gutachten mit klaren und eindeutigen Aussagen zur konkreten Vertragskonstellation” handelt.
- Berichtigungspflichten prüfen: Es besteht möglicherweise eine Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, wie vom BMF angenommen.
- Erwägung einer Selbstanzeige: In bestimmten Fällen könnte eine strafbefreiende Selbstanzeige sinnvoll sein – hier ist jedoch zwingend fachkundiger Rat einzuholen.
Fazit: Paradigmenwechsel mit weitreichenden Folgen
Die rechtliche Neubewertung von Cum-Cum-Geschäften markiert einen Paradigmenwechsel in der deutschen Steuer- und Finanzlandschaft. Was lange Zeit als clevere Steuergestaltung galt, wird nun zunehmend als Steuerhinterziehung eingestuft – mit entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen.
Für Finanzexperten, Vermögensberater und deren Kunden bedeutet dies: Höchste Vorsicht bei steuerlich motivierten Wertpapiertransaktionen und eine kritische Überprüfung vergangener Geschäfte sind unerlässlich. Die Entscheidung des OLG Frankfurt dürfte erst der Anfang einer umfassenden juristischen Aufarbeitung sein, deren Ausgang noch nicht vollständig absehbar ist.
Checkliste für Finanz- und Nachfolgeberater: Umgang mit Cum-Cum-Risiken
Maßnahme | Rechtliche Grundlage | Umsetzungshinweise |
---|---|---|
Identifikation potentieller Cum-Cum-Sachverhalte | § 42 AO (Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten) | Analyse von Wertpapiertransaktionen rund um Dividendentermine, besonders bei ausländischen Kunden |
Prüfung des wirtschaftlichen Eigentumsübergangs | BMF-Schreiben vom 09.07.2021 (IV C 1 – S 2252/19/10035 :014) | Vollständige Prüfung aller Vertragsverhältnisse und wirtschaftlichen Risiken |
Bewertung bestehender Rechtsgutachten | OLG Frankfurt, Beschluss v. 10.12.2024, Az. 3 Ws 231/24 | Prüfung auf “ergebnisoffene” Formulierungen und Bezug zur konkreten Vertragskonstellation |
Berichtigungspflichten prüfen | § 153 AO (Berichtigung von Erklärungen) | Auch für Sachverhalte vor dem BFH-Urteil 2015 (Az. I R 88/13) könnte Berichtigungspflicht bestehen |
Erwägung von Selbstanzeigen | § 371 AO (Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung) | Bei rechtzeitiger und vollständiger Selbstanzeige mögliche Straffreiheit |
Sicherung von Beweismaterial | Bürokratieentlastungsgesetz IV (verkürzte Aufbewahrungsfristen) | Relevante Dokumente sichern, da Aufbewahrungsfristen verkürzt wurden |
Risikoanalyse für Mandanten | § 370 AO (Steuerhinterziehung) | Potentielle Strafbarkeitsrisiken analysieren und dokumentieren |
Kommunikation mit Finanzbehörden | §§ 88, 90 AO (Untersuchungsgrundsatz, Mitwirkungspflichten) | Bei Anfragen umfassende Auskunft geben, Unvollständiges vermeiden |
Umgang mit laufenden Betriebsprüfungen | § 193 ff. AO (Außenprüfung) | Vollständige Offenlegung relevanter Dokumente zu Cum-Cum-Geschäften |
Verjährungsfristen beachten | § 169 AO (Festsetzungsfrist), § 78 StGB (Verjährung) | Bei Steuerhinterziehung: steuerlich bis zu 10 Jahre, strafrechtlich bis zu 15 Jahre |
Rechtsquellen zur weiteren Vertiefung:
- BFH-Urteil vom 18.08.2015, Az. I R 88/13 – Grundsatzentscheidung zur steuerlichen Behandlung von Cum-Cum
- BMF-Schreiben vom 09.07.2021, Az. IV C 1 – S 2252/19/10035 :014 – Aktuelle Verwaltungsauffassung
- OLG Frankfurt, Beschluss v. 10.12.2024, Az. 3 Ws 231/24 – Zulassung der ersten Cum-Cum-Anklage
- § 42 AO – Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten
- § 370 AO – Steuerhinterziehung
- § 153 AO – Berichtigungspflichten bei nachträglicher Erkenntnis der Unrichtigkeit
- Bürokratieentlastungsgesetz IV vom 19.09.2024 – Verkürzung der Aufbewahrungsfristen