
Ein Klassiker mit Schattenseiten
Die private Rentenversicherung ist seit Jahrzehnten ein Bestseller auf dem deutschen Vorsorgemarkt. Allein 2024 wurden nach aktuellen Zahlen rund zwei Millionen Neuverträge abgeschlossen – eine Zahl, die zeigt, dass der vermeintlich „sichere Hafen“ für den Ruhestand ungebrochen gefragt ist. Doch die Kehrseite dieser Beliebtheit ist weniger präsent: Millionen Versicherte verlieren langfristig erhebliche Summen, weil die Rendite durch hohe Kosten und niedrige Zinsen aufgezehrt wird.
Für Finanz- und Nachfolgeplaner ist dies ein klassisches Spannungsfeld. Einerseits wünschen Kunden Stabilität und Garantien, andererseits droht das Versprechen der Sicherheit zur Kostenfalle zu werden. Der Widerspruch ist fundamental: Wer Sicherheit einkauft, bezahlt sie mit Ertragsverlust – und am Ende sind es genau diese fehlenden Erträge, die die Altersvorsorge gefährlich schwächen.
Die Illusion der Sicherheit
Die Attraktivität der privaten Rentenversicherung beruht auf drei Versprechen:
- Garantierte Rente bis zum Lebensende
- Planbare Beiträge und stabile Laufzeiten
- Schutz vor Kapitalmarktschwankungen
Diese Punkte sprechen gerade sicherheitsorientierte Kunden an. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die „Garantie“ teuer erkauft wird:
- Die Lebensversicherungskonzerne kalkulieren vorsichtig, um Risiken abzusichern.
- Hohe Verwaltungskosten und Abschlussprovisionen schmälern die Rendite.
- Der Niedrigzins hat das Geschäftsmodell ausgehöhlt – Garantien können nur noch mit minimalen Zinszusagen gewährt werden.
Psychologisch verstärkt sich die Illusion: Viele Menschen fühlen sich wohler mit einem Produkt, das „Rente“ im Namen trägt, selbst wenn die reale Leistung hinter den Erwartungen zurückbleibt. Für Planer bedeutet dies: Das Sicherheitsbedürfnis ist real – die Konsequenzen aber auch.
Kostenfalle im Detail
Ein zentrales Problem sind die Kostenstrukturen der privaten Rentenversicherung.
Abschlusskosten
Diese fallen in der Regel zu Beginn der Laufzeit an und werden über die ersten Jahre der Beiträge verteilt. Bei langen Laufzeiten summieren sich mehrere tausend Euro – noch bevor Kapital für den Kunden arbeitet.
Verwaltungskosten
Jährliche Kosten von ein bis zwei Prozent des Vertragsguthabens sind üblich. Auf den ersten Blick erscheinen sie gering. Doch über Jahrzehnte führen sie zu erheblichen Einbußen.
Intransparenz
Viele Kunden verstehen die Gesamtkostenbelastung nicht. Produktinformationen sind oft komplex, die Renditeangaben basieren auf optimistischen Szenarien, und garantierte Leistungen sind minimal.
Rechenbeispiel: 300 Euro pro Monat
Ein Kunde zahlt 30 Jahre lang 300 Euro in eine private Rentenversicherung ein. Gesamtbetrag: 108.000 Euro.
- Bei einer Nettoverzinsung von 4 % könnten daraus rund 187.000 Euro werden.
- Durch Kosten und Garantiekosten reduziert sich die effektive Rendite häufig auf 1 % bis 1,5 %. Ergebnis: ca. 126.000 bis 135.000 Euro.
Differenz: Bis zu 60.000 Euro Verlust im Vergleich zu einer alternativen Anlageform.
Rendite im Vergleich
ETF-Sparplan
Ein weltweit gestreuter ETF-Sparplan auf den MSCI World hätte über 30 Jahre mit einer realistischen Durchschnittsrendite von 5–7 % einen Endwert zwischen 225.000 und 275.000 Euro ergeben.
Betriebliche Altersversorgung
Auch hier gibt es Kosten, doch steuerliche Förderungen und Arbeitgeberzuschüsse verbessern das Verhältnis von Einzahlung und Auszahlung erheblich.
Direkte Kapitalmarktanlagen
Fonds oder gemanagte Strategien bieten mehr Flexibilität, Transparenz und in vielen Fällen eine bessere Netto-Rendite, allerdings ohne lebenslange Rentengarantie.
Beratungsimplikationen
Für Finanz- und Nachfolgeplaner bedeutet dies:
- Die Nachfrage nach „Sicherheit“ darf nicht mit einem pauschalen Produkt beantwortet werden.
- Es ist Aufgabe der Beratung, Alternativen transparent aufzuzeigen.
- Dabei gilt es, nicht nur Rendite zu betonen, sondern die individuelle Lebensplanung einzubeziehen: Liquidität, Steuerlast, Familienplanung, Nachfolgefragen.
Schlüsselbotschaft: Nicht jedes Produkt, das „Rente“ verspricht, ist automatisch geeignet.
Praxisbeispiele
Fall 1: „Die trügerische Sicherheit“
Ein 40-jähriger Angestellter schließt eine private Rentenversicherung mit 300 Euro Monatsbeitrag ab. Nach 30 Jahren stehen ihm ca. 135.000 Euro Kapital zur Verfügung. Nach Rentenbeginn bedeutet dies – je nach Tarif – eine lebenslange Monatsrente von rund 400 Euro. Real verliert er Kaufkraft, da die Inflation höher liegt.
Fall 2: „Das Vergleichsszenario“
Ein ETF-Sparplan mit gleichem Beitrag erzielt bei 5 % Netto-Rendite ein Endkapital von über 250.000 Euro. Selbst bei Teilverrentung oder Entnahmen bleibt das verfügbare Kapital deutlich höher.
Handlungsempfehlungen für Berater
- Kosten klar machen – Abschluss- und Verwaltungskosten offenlegen.
- Alternativen zeigen – ETF, Fonds, bAV.
- Steuern einbeziehen – unterschiedliche steuerliche Behandlung (nachgelagerte Besteuerung, Abgeltungsteuer).
- Szenarien rechnen – konkrete Zahlen und Simulationen durchspielen.
- Lebensplanung verbinden – die Entscheidung nicht isoliert, sondern im Kontext von Vermögensstruktur, Erbschaft und Nachfolge treffen.
Fazit
Die private Rentenversicherung lebt vom Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Doch Sicherheit ist nicht umsonst – sie wird durch Renditeverluste bezahlt. Für Finanz- und Nachfolgeplaner liegt hier eine zentrale Aufgabe: Kunden nicht nur vor Risiken zu schützen, sondern auch vor trügerischer Sicherheit. Denn wer frühzeitig auf Transparenz setzt und Alternativen aufzeigt, kann Vermögen nachhaltig sichern.
Leitsatz: Sicherheit darf nicht die Rendite vernichten.
Anhang A – Handlungsschritte
Handlungsschritt | Ziel | Nutzen für den Kunden |
---|---|---|
Vertragskosten prüfen | Transparenz schaffen | Vermeidung von Fehlentscheidungen |
Alternativen vergleichen | Renditepotenzial erkennen | Bessere Entscheidungsbasis |
Steuerliche Aspekte einbeziehen | Netto-Ertrag optimieren | Minimierung der Steuerlast |
Langfristige Szenarien berechnen | Realistische Erwartungen | Klarheit über Kaufkraftentwicklung |
Nachfolgeplanung verknüpfen | Vermögen sichern | Steuer- und erbrechtliche Optimierung |
Anhang B – Rechtliche Quellen
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG) §§ 1 ff., Informationspflichten und Transparenzvorschriften
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 159 ff. zur Leibrente
- Einkommensteuergesetz (EStG) § 22 Nr. 1, nachgelagerte Besteuerung von Renten
- Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) – Vorgaben für Kalkulation und Sicherheiten
- Verbraucherschutzrecht (EU-Richtlinien, IDD) – Informationspflichten und Beratung
Anhang C – Praxisimplikationen
- Für Berater: Pflicht zur Aufklärung über Kosten und Alternativen (Standesregeln, FPSB-Standards).
- Für Kunden: Erhöhtes Risiko von Versorgungslücken, wenn die Rendite der privaten Rentenversicherung nicht ausreicht.
- Für die Finanzplanung: Ganzheitliche Betrachtung notwendig, da Rentenversicherung isoliert oft unzureichend ist.
- Für die Nachfolgeplanung: Kapitalverfügbarkeit und Flexibilität sind entscheidend – klassische Rentenversicherungen sind hier oft unflexibel.