
Hintergrund: Das Herrenberg-Urteil und seine Folgen
Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.06.2022 – bekannt als “Herrenberg-Urteil” – sorgt für weitreichende Unsicherheit im Bildungssektor. Die Entscheidung rüttelt an den bisherigen Kriterien zur Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung. Besonders betroffen sind private Bildungseinrichtungen, Sprachschulen und Volkshochschulen, die vielfach mit Honorarkräften arbeiten. In vielen Fällen droht die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, sodass einige Einrichtungen bereits begonnen haben, Honorarkräfte abzuschaffen.
Die neue Übergangsregelung: Zwei Jahre Aufschub
Um den plötzlichen Auswirkungen des Urteils entgegenzuwirken, hat der Bundestag eine Übergangsregelung beschlossen. Der Bundesrat stimmte am 14. Februar 2025 zu. Diese Regelung bedeutet:
- Die Sozialversicherungspflicht greift erst ab dem 1. Januar 2027.
- Damit sie Anwendung findet, müssen sich beide Vertragsparteien bei Vertragsschluss auf eine selbstständige Tätigkeit verständigt haben.
- Die betroffene Lehrkraft muss der Übergangsregelung zustimmen.
Allerdings schafft diese Regelung keine langfristige Rechtssicherheit. Bildungseinrichtungen müssen ihre Organisationsstrukturen anpassen, um mit den neuen sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben umgehen zu können.
Kriterien für die Abgrenzung: Wann liegt eine abhängige Beschäftigung vor?
Nach den bisherigen Grundsätzen galt eine Lehrtätigkeit als selbstständig, wenn folgende Merkmale überwogen:
- Freiheit in der inhaltlichen und methodischen Gestaltung des Unterrichts.
- Kein Weisungsrecht des Auftraggebers hinsichtlich Art, Zeit und Ort der Tätigkeit.
- Keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
- Honorarverträge nur auf Semester oder Kurse begrenzt.
- Vergütung ausschließlich für geleistete Stunden ohne Entgeltfortzahlung bei Ausfällen.
Das Herrenberg-Urteil setzte sich über diese Kriterien hinweg. Es entschied, dass eine Lehrerin an einer Musikschule trotz vertraglich vereinbarter Selbstständigkeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stand. Die Begründung lag in der Eingliederung in die betrieblichen Abläufe der Schule, der Nutzung betrieblicher Infrastruktur und der Verpflichtung zur Teilnahme an Besprechungen und Veranstaltungen.
Auswirkungen auf die Finanz- und Nachfolgeplanung
Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für Finanz- und Nachfolgeplaner, die mit Bildungsdienstleistern und Honorarkräften arbeiten:
- Nachzahlungspflichten prüfen: Sozialversicherungsbeiträge können rückwirkend gefordert werden.
- Vertragsgestaltung anpassen: Neue Verträge sollten klar definierte Kriterien für Selbstständigkeit enthalten.
- Statusfeststellung durch die DRV: Eine freiwillige Statusfeststellung nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV kann Unsicherheiten klären.
- Zukunftssicherheit für Bildungsträger: Institutionen sollten frühzeitig über hybride Modelle nachdenken, um auf eine mögliche Umstellung zur Festanstellung vorbereitet zu sein.
Fazit
Das Herrenberg-Urteil schafft “neues Recht”, doch die Übergangsregelung gibt zumindest kurzfristig Zeit, sich auf die Veränderungen einzustellen. Finanz- und Nachfolgeplaner sind gefordert, Mandanten – insbesondere Bildungsanbieter – aktiv über die Risiken und Handlungsoptionen aufzuklären. Wer jetzt handelt, kann unangenehme Nachzahlungen und betriebliche Unsicherheiten vermeiden.
Checkliste für Finanz- und Nachfolgeplaner
Schritt | Maßnahme | Rechtliche Quelle |
---|---|---|
1. Vertragsprüfung | Bestehende Verträge auf Eingliederung, Weisungsgebundenheit und Sozialversicherungspflicht prüfen. | § 7 SGB IV, § 2 SGB VI |
2. Risikobewertung | Potenzielle Nachzahlungen für Sozialversicherungsbeiträge kalkulieren. | Sozialgerichtsgesetz (SGG) |
3. Anpassung der Verträge | Neue Vertragsgestaltungen mit klarer Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung umsetzen. | Bundesarbeitsgericht (BAG) Rspr. |
4. Statusfeststellung | Freiwillige Statusfeststellung nach § 7a SGB IV in Zweifelsfällen beantragen. | § 7a SGB IV |
5. Beratung der Auftraggeber | Bildungsträger über Risiken und Alternativen informieren, hybride Beschäftigungsmodelle prüfen. | Sozialgesetzbuch VI |
Durch eine proaktive Auseinandersetzung mit der Thematik können Finanz- und Nachfolgeplaner ihre Mandanten optimal auf die kommenden Veränderungen vorbereiten.