
- Steuerflucht in der digitalen Scheinwelt
Was früher über Nummernkonten in der Schweiz lief, spielt sich heute in Instagram-Stories und TikTok-Reels ab. In der digitalen Wirtschaft hat sich eine neue, schwer kontrollierbare Risikozone etabliert: Selbstständige Content Creator und Influencer, die mit Reichweite Millionenumsätze generieren – und sich steuerlich aus der Affäre zu ziehen versuchen. Im Zentrum der aktuellen Ermittlungen steht dabei ein beliebtes Narrativ: der Wohnsitzwechsel nach Dubai. Diese als „Dubai-Masche“ bekannte Strategie suggeriert Steuerfreiheit, führt jedoch häufig zu gravierenden Fehleinschätzungen über die Reichweite des deutschen Steuerrechts.
Für professionelle Finanz- und Nachfolgeplaner ergibt sich daraus eine doppelte Herausforderung: Einerseits gilt es, Mandanten vor fahrlässiger Fehlinformation zu schützen. Andererseits müssen Berater rechtzeitig erkennen, wann eine rein deklaratorische Verlagerung ins Ausland in strafbare Steuerhinterziehung umschlägt – mit weitreichenden Haftungsrisiken, auch für beratende Berufsträger.
- Die Realität hinter der Fassade: Struktur und Mechanik der Dubai-Masche
Nach Recherchen der Stuttgarter Nachrichten hat das Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (LBF NRW) rund 6.000 Datensätze aus Social-Media-Auswertungen analysiert – mit einem mutmaßlichen Steuerschaden von 300 Millionen Euro. Der Mechanismus folgt einem klaren Muster:
Abmeldung in Deutschland, Anmeldung z. B. in Dubai oder anderen Niedrigsteuerländern.
Keine Einkommensteuer im neuen Aufenthaltsstaat.
Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit mit faktischer Zielgruppe in Deutschland.
Fehlende Steuernummern, nicht deklarierte Einnahmen, schnelllöschbare Inhalte (z. B. Instagram-Stories).
Häufig keine Trennung zwischen betrieblicher und privater Sphäre: Luxusreisen, Markenprodukte und geldwerte Vorteile werden nicht erfasst.
Stephanie Thien, Leiterin des LBF NRW, konstatiert: „Es ist keine Seltenheit, dass Influencer mehrere zehntausend Euro pro Monat verdienen – ohne jemals beim Finanzamt vorstellig geworden zu sein.“
Dabei ist es rechtlich unerheblich, ob eine Abmeldung beim Einwohnermeldeamt vorliegt: Steuerpflicht in Deutschland besteht fort, wenn zentrale Lebensinteressen oder wirtschaftliche Aktivitäten weiterhin im Inland verankert sind.
- Steuerpflicht trotz Wohnsitzverlagerung: Wann endet sie wirklich?
Die zentrale Fehleinschätzung vieler Influencer beruht auf einer falschen Interpretation von § 1 EStG, § 8 AO und § 2 AStG:
Unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG): Gilt für Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland.
Beschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG): Bei inländischen Einkünften ohne Wohnsitz im Inland.
Wirtschaftliche Zugehörigkeit (§ 2 AStG): Begründen eine Steuerpflicht auch ohne melderechtlichen Wohnsitz, wenn wirtschaftliche Interessen wesentlich im Inland verbleiben.
Lebensmittelpunkt (BFH-Rechtsprechung): Entscheidend sind tatsächliche Verhältnisse – z. B. Ort des familiären Lebens, Vermögensverwaltung, Arbeitsleistung, Kundenbeziehungen.
▶ Folge: Ein formeller Wegzug genügt nicht. Maßgeblich ist die „tatsächliche Lebens- und Erwerbsgestaltung“.
- Fallkonstellationen aus der Praxis: Muster, Risiken und Ermittlungsansätze
Fall 1: „Digitaler Schattenwohnsitz“
Ein Influencer meldet sich in Dubai an, lebt aber faktisch weiterhin in Köln bei seinen Eltern. Der Content entsteht in Deutschland, Sponsoren und Agenturen sitzen in München. Das LBF NRW nutzt Social-Media-Zeitenstempel, Geo-Tagging und Netzwerkverbindungen, um den tatsächlichen Aufenthalt zu belegen.
Ergebnis: Fortbestehende unbeschränkte Steuerpflicht.
Fall 2: „Verdeckte Einnahmen durch Story-Werbung“
Eine Influencerin bewirbt Produkte in temporären Instagram-Stories mit Affiliate-Links und Gutscheincodes. Einnahmen fließen auf ein Konto in Litauen. Die Storys sind nach 24 Stunden gelöscht.
Ergebnis: Einnahmen lassen sich durch Plattformdaten, Tracking-IDs und Händlerabrechnungen rekonstruieren. Steuerhinterziehung nach § 370 AO.
Fall 3: „Abgemeldete GmbH – faktisch weitergeführt“
Ein Influencer hält 100 % an einer deutschen GmbH, die seine Markenrechte verwaltet. Nach Wegzug nach Dubai läuft die operative Steuerung aber weiterhin über ihn, inkl. Social-Media-Kampagnen, Bezahlung von Dienstleistern und strategischer Steuerung.
Ergebnis: Ort der Geschäftsleitung bleibt Deutschland → Körperschaftsteuerpflicht nach § 10 AO.
Fall 4: „Luxusreisen als Betriebsausgabe“
Mehrere Influencer verreisen gemeinsam auf Einladung einer Modemarke. Flug, Hotel, Kleidung – alles wird „kostenfrei“ übernommen. Keine Versteuerung geldwerter Vorteile.
Ergebnis: Vorteil aus § 22 Nr. 3 EStG in Kombination mit § 8 Abs. 1 EStG steuerpflichtig.
Fall 5: „Kein Bankkonto, keine Buchführung“
Ein Mandant legt Einnahmen aus Merchandise, Werbedeals und eigenen NFT-Verkäufen ausschließlich in Kryptowährungen an. Es existiert keine Buchführung, keine Rechnung, keine Trennung betrieblicher und privater Vermögenssphäre.
Ergebnis: Verstöße gegen § 140–147 AO und ggf. Tatbestand nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.
- Verantwortung der Berater: Beratung, Dokumentation, Aufklärung
Für Finanz- und Nachfolgeplaner besteht in solchen Fällen eine zentrale Schutzfunktion: die rechtzeitige Identifikation steuerlicher Risikozonen – und der klare Hinweis auf Gestaltungspflichten und Dokumentationspflichten. Folgende Grundsätze sind essenziell:
Dokumentationspflicht (§ 90 AO): Mandanten sind auf die Beweislast bei Auslandssachverhalten hinzuweisen.
Hinweispflichten (§ 199 AO i. V. m. Berufsrecht): Berater haften bei unterlassener oder falscher Aufklärung.
Mitwirkungspflichten: Sorgfältige Erfassung aller wirtschaftlichen Aktivitäten, auch wenn „nur“ digital oder informell organisiert.
Steuergestaltungsberatung: Wenn rechtlich möglich, klare Abgrenzung zwischen inländischer und ausländischer Tätigkeit (z. B. durch Holdingstrukturen, Betriebsstättenverlagerung mit Substanznachweis).
▶ Wichtig: Bei erkennbarer Absicht zur Steuervermeidung mit risikobehafteter Auslandsverlagerung sollte stets eine schriftliche Dokumentation inkl. Risikohinweis erfolgen.
- Fazit: Aufklärung schützt – Beratung schafft Struktur
Die „Dubai-Masche“ ist keine hippe Abkürzung ins Steuerparadies, sondern ein hochriskanter Pfad durch komplexes internationales Steuerrecht. Die digitale Welt erzeugt neue Geschäftsmodelle – aber das Steuerrecht bleibt analog im Kern: wirtschaftliche Zugehörigkeit, Leistungsort und tatsächliche Verhältnisse entscheiden.
Professionelle Beratung schützt Mandanten nicht nur vor finanziellen und strafrechtlichen Konsequenzen, sondern etabliert auch steuerliche Klarheit, die unternehmerisches Wachstum langfristig erst ermöglicht.