
Wenn ein Schicksalsschlag rechtliche Kettenreaktionen auslöst
Der plötzliche Tod der ehemaligen Biathlon-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier hat nicht nur sportliche Fans, sondern auch juristische Fachkreise bewegt. Am 28. Juli 2025 verunglückte sie beim Abstieg vom Laila Peak im pakistanischen Karakorum-Gebirge, als ein Steinschlag sie in rund 5.700 Metern Höhe traf. Aufgrund extremer Wetter- und Geländebedingungen wurde der Bergungseinsatz abgebrochen. In Übereinstimmung mit ihrem schriftlich hinterlegten Wunsch – niemand solle sein Leben riskieren, um sie zu bergen – verbleibt ihr Leichnam am Berg.
Juristisch berührt dieser Fall den Tatbestand der Gefahrverschollenheit (§ 7 VerschG): Eine Person gerät in eine konkrete Lebensgefahr, deren Ausgang höchstwahrscheinlich tödlich ist, ohne dass eine sichere Leichenschau möglich ist. Für die Nachlassabwicklung, die Erbfolge und die Erteilung eines Erbscheins kann das Verschollenheitsgesetz hier den entscheidenden Rechtsrahmen bieten. Für Finanz- und Nachfolgeplaner ist das kein theoretisches Randthema, sondern eine hochrelevante Praxisfrage.
1. Begriff der Verschollenheit – die juristische Schwelle
§ 1 VerschG definiert Verschollenheit eindeutig:
- Aufenthalt ist über längere Zeit unbekannt
- Keine Nachrichten über Leben oder Tod
- Dauerhafte Ungewissheit
- Begründete Zweifel am Fortleben durch die Umstände
Nicht verschollen ist, wessen Tod zweifelsfrei feststeht (§ 1 Abs. 2 VerschG).
Fallbezug Dahlmeier: Trotz sehr hoher Todeswahrscheinlichkeit handelt es sich formal zunächst um eine Verschollenheit, da keine amtliche Todesfeststellung vorliegt.
2. Besondere Tatbestände – Fristen und Gefahrenlagen
Die §§ 3–7 VerschG differenzieren nach Szenarien:
Paragraph | Szenario | Praxisbeispiel |
---|---|---|
§ 3 VerschG | Todeserklärung nach Fristablauf | Langzeitverschwinden ohne Gefahrenereignis |
§ 4 VerschG | Kriegsverschollenheit | Soldat im Auslandseinsatz |
§ 5 VerschG | Seeverschollenheit | Schiffsuntergang |
§ 6 VerschG | Flugverschollenheit | Flugzeugabsturz |
§ 7 VerschG | Gefahrverschollenheit | Bergsteigerin nach Lawinenabgang – Fall Dahlmeier |
Gefahrverschollenheit liegt vor, wenn eine Person in eine akute Lebensgefahr gerät, die objektiv nicht mehr beherrschbar ist.
Das OLG Karlsruhe (1.12.2023, 14 W 86/23) bestätigte dies für einen Bergsteiger, der in der Schweiz vermutlich 200 m tief in einen Gletscherspalt stürzte.
3. Verfahren zur Todeserklärung
Antragsberechtigte: Ehegatte, Lebenspartner, Kinder, Eltern, gesetzliche Vertreter, Staatsanwalt, jede Person mit rechtlichem Interesse.
Ablauf:
- Antrag mit Glaubhaftmachung (§ 18 VerschG)
- Amtsermittlung (§ 26 FamFG)
- Öffentliches Aufgebot (§ 20 VerschG)
- Gerichtsbeschluss mit Todeszeitpunkt (§ 9 VerschG)
- Zustellung und Veröffentlichung (§ 24 VerschG)
Fallbezug Dahlmeier: Angehörige könnten unmittelbar nach § 7 VerschG den Antrag stellen. Als Beweismittel: Einsatzberichte, Zeugenaussagen, Medienberichte, Rettungsprotokolle.
4. Erbrechtliche Wirkungen
Mit Rechtskraft der Todeserklärung gilt der Verschollene als verstorben – Erbfolge tritt ein, Pflichtteilsrechte entstehen, Testamentsvollstreckung beginnt.
Bei Rückkehr (praktisch selten) kann der Verschollene Herausgabeansprüche geltend machen (§§ 2018 ff. BGB), gutgläubige Erwerber bleiben geschützt (§ 2370 BGB).
5. Kommorientenvermutung (§ 11 VerschG)
Wenn die Reihenfolge mehrerer Todesfälle unklar ist, gilt gleichzeitiger Tod.
Praxisfall OLG Karlsruhe (26.9.2024, 14 W 95/23): Ehegatten tot aufgefunden, gegenseitige Alleinerbeneinsetzung. Mangels Feststellbarkeit der Reihenfolge: gleichzeitiger Tod – unmittelbare Erbfolge durch die jeweiligen Schlusserben.
6. Vertiefte Fallstudien
Fallstudie 1 – Laura Dahlmeier (2025)
- Ereignis: Steinschlag am Laila Peak, keine Bergung möglich
- Juristischer Tatbestand: § 7 VerschG (Gefahrverschollenheit)
- Besonderheit: Schriftlicher Wille zur Nichtbergung könnte Verfahren verzögern, da er Einfluss auf Bergungsversuche hat
- Beratungsaspekt: Frühzeitige Testamentserstellung, klare Vollmachtsregelungen, Absicherung für Unternehmensbeteiligungen
Fallstudie 2 – OLG Karlsruhe (2023)
- Ereignis: Bergsteiger in der Schweiz stürzt in Bergschrund
- Juristischer Tatbestand: § 7 VerschG
- Besonderheit: Gericht stellte auf überwiegende Wahrscheinlichkeit des Todes ab
- Beratungsaspekt: Dokumentation von Reiseplänen und Notfallkontakten kann Antrag erleichtern
7. Handlungsempfehlungen für Finanz- und Nachfolgeplaner
Handlungsschritt | Bedeutung | Norm |
---|---|---|
Mandantenakte pflegen | Reisedaten, Risikoaktivitäten erfassen | § 1, § 7 VerschG |
Testamente präzisieren | Ersatz- und Schlusserben klar benennen | § 11 VerschG |
Vorsorgevollmachten | Handlungsfähigkeit sichern | BGB |
Fristenmanagement | Antrag auf Todeserklärung rechtzeitig einleiten | §§ 3–7, § 18 VerschG |
Erben informieren | Risiken der Rückkehr erklären | § 2370 BGB |
Kompakte Mandanten-Checkliste
Verschollenheit & Nachfolgeplanung – 6-Punkte-Sicherheitstest
- Liegt ein Testament mit Ersatz- und Schlusserbenregelung vor?
- Sind Vorsorgevollmachten und Bankvollmachten aktuell?
- Ist eine Vertrauensperson für Krisenfälle benannt?
- Sind Reise- und Risikoprofile dokumentiert?
- Kennt die Familie das Verfahren nach dem VerschG?
- Sind Unternehmensnachfolgeregelungen auf Extremfälle vorbereitet?
Fazit
Das Verschollenheitsgesetz mag selten angewandt werden – aber im Extremfall ist es entscheidend, um Rechtsklarheit herzustellen. Der Fall Laura Dahlmeier zeigt, wie schnell aus einer persönlichen Tragödie eine komplexe erbrechtliche und finanzielle Herausforderung wird. Für Berater gilt: Klare Strukturen schaffen, Mandanten sensibilisieren und in Ausnahmesituationen handlungsfähig bleiben.