In der Finanzplanung spielt unsere Erinnerung eine zentrale Rolle. Ob es darum geht, frühere Investitionen zu bewerten, finanzielle Ziele zu setzen oder wichtige Entscheidungen zu treffen – oft verlassen wir uns auf unser Gedächtnis, um vergangene Ereignisse und Erfahrungen einzuordnen. Doch was, wenn unsere Erinnerungen nicht so verlässlich sind, wie wir denken? Der Neurowissenschaftler Wolf Singer beschreibt Erinnerungen als „datengestützte Erfindungen“, die auf lückenhaften und willkürlich ausgewählten Informationen basieren und den Charakter von Rekonstruktionen haben. Was bedeutet das für die Finanz- und Nachfolgeplanung?
Dieser Blogbeitrag zeigt, wie die Unzuverlässigkeit unserer Erinnerungen finanzielle Entscheidungen beeinflussen kann und wie Finanz- und Nachfolgeplaner Strategien entwickeln können, um diese Herausforderung zu meistern. Mit praktischen Beispielen und einer Checkliste im Anhang erhalten Sie wertvolle Werkzeuge für eine erfolgreiche Beratung.
Erinnerungen: Konstruktionen statt Fakten
Forschungsergebnisse aus der Neuropsychologie belegen, dass Erinnerungen keine objektiven Aufzeichnungen unserer Vergangenheit sind. Stattdessen rekonstruieren wir sie jedes Mal neu, wenn wir uns erinnern. Dabei können Verzerrungen auftreten, die von emotionalen Einflüssen, selektiver Wahrnehmung und späteren Erfahrungen geprägt sind. In der Finanzplanung kann dies zu folgenden Herausforderungen führen:
- Überbewertung vergangener Erfolge: Anleger erinnern sich oft stärker an erfolgreiche Investitionen als an Verluste. Dies kann zu einer riskanteren Anlagestrategie führen.
- Verdrängung von Fehlern: Finanzielle Fehlentscheidungen werden häufig rationalisiert oder verdrängt, was die Wiederholung solcher Fehler wahrscheinlicher macht.
- Emotional geprägte Entscheidungen: Emotionen wie Angst oder Euphorie beeinflussen nicht nur aktuelle Entscheidungen, sondern auch die Art und Weise, wie wir vergangene Erlebnisse erinnern.
Die Rolle von Kindheitserinnerungen in der Finanzplanung
Der Psychologe Martin Conway und sein Team haben in Studien gezeigt, dass viele Menschen lebendige Erinnerungen an ihre frühesten Lebensjahre haben. Diese Prägungen spielen oft eine entscheidende Rolle in ihrer finanziellen Einstellung und ihrem Verhalten:
- Prägungen durch Eltern und Umfeld: Ein Mensch, der in der Kindheit erlebt hat, wie Eltern in Krisenzeiten sparen mussten, könnte später einen übertriebenen Sicherheitsfokus in der Finanzplanung entwickeln.
- Frühe Erfolgserlebnisse: Wer bereits in jungen Jahren den Wert von Sparsamkeit oder Investitionen erlebt hat, zeigt häufig mehr Bereitschaft, finanzielle Risiken einzugehen.
Ein Beispiel: Ein Unternehmer erinnert sich daran, wie ihm sein Großvater eine erste Lektion in Aktienanlagen gab. Diese positive Erinnerung beeinflusst seine Bereitschaft, in Wertpapiere zu investieren – obwohl die aktuelle Marktlage riskant ist. Hier hilft eine datengestützte Analyse, um emotionale Überreaktionen zu vermeiden.
Warum erinnern wir uns? Und warum ist das wichtig für die Finanzplanung?
Erinnerungen sind nicht nur Konstruktionen, sondern auch zentrale Bausteine unserer Identität. Sie helfen uns, aus vergangenen Erfahrungen zu lernen und Zukunftsentscheidungen zu treffen. In der Finanzplanung bedeutet dies:
- Persönliche Werte erkennen: Erinnerungen an bestimmte Ereignisse, wie finanzielle Krisen oder Erfolge, können Hinweise darauf geben, welche Werte und Ziele ein Kunde verfolgt.
- Zukunft gestalten: Die Reflexion über vergangene Entscheidungen kann helfen, zukünftige Strategien realistischer und nachhaltiger zu gestalten.
- Identität stärken: Finanzentscheidungen sollten nicht nur auf Zahlen basieren, sondern auch zur persönlichen Lebensgeschichte passen. Ein Beispiel ist die Nachfolgeplanung, bei der Erinnerungen an familiäre Werte oft entscheidend sind.
Praxisnahe Beispiele aus der Finanzplanung
- Das „perfekte“ Investment
Ein Kunde erinnert sich daran, dass er mit einer bestimmten Aktie hohe Gewinne erzielt hat. Bei genauer Analyse stellt sich jedoch heraus, dass der Ertrag geringer war, als er glaubt, und er zwischenzeitlich größere Verluste hingenommen hat. Ohne objektive Daten hätte der Kunde diese Fehleinschätzung in künftige Entscheidungen übernommen. - Nachfolgeplanung und Familienerinnerungen
In der Nachfolgeplanung spielen Erinnerungen an familiäre Ereignisse oft eine wichtige Rolle. Ein Unternehmer könnte sich beispielsweise daran erinnern, dass ein Kind besondere Führungsqualitäten gezeigt hat, und deshalb die Unternehmensnachfolge diesem Kind übertragen. Doch ohne eine objektive Bewertung der Kompetenzen kann eine solche Entscheidung langfristig problematisch sein. - Finanzielle Vorsorge und Lebenswandel
Viele Menschen unterschätzen, wie stark sich ihre finanziellen Bedürfnisse über die Jahre ändern. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass sie vor zehn Jahren mit einem geringen Einkommen gut zurechtkamen, und leiten daraus falsche Schlüsse für ihre Altersvorsorge ab.
Wie Finanzplaner Erinnerungsverzerrungen ausgleichen können
Finanz- und Nachfolgeplaner haben die wichtige Aufgabe, objektive Daten und Fakten in den Vordergrund zu stellen. Hier sind einige bewährte Ansätze:
- Regelmäßige Dokumentation
Halten Sie gemeinsam mit Ihren Kunden alle finanziellen Entscheidungen, Ziele und Ergebnisse schriftlich fest. Dies schafft eine objektive Grundlage für zukünftige Gespräche. - Datenbasierte Analysen
Nutzen Sie Finanzsoftware und Tools, um Kunden transparente und datenbasierte Einblicke in ihre finanzielle Situation zu geben. - Emotionen managen
Helfen Sie Ihren Kunden, emotionale Einflüsse auf ihre Entscheidungen zu erkennen und zu minimieren. Dies kann durch gezielte Fragen und Reflexion geschehen. - Regelmäßige Überprüfung der Ziele
Erinnerungen und Lebensziele ändern sich. Planen Sie regelmäßige Gespräche ein, um finanzielle Strategien an die aktuellen Lebensumstände Ihrer Kunden anzupassen.
Checkliste: Umgang mit Erinnerungsverzerrungen in der Finanzplanung
Schritt | Beschreibung | Rechtliche Grundlage/Quelle |
---|---|---|
1. Finanzstatus dokumentieren | Erstellen Sie eine vollständige Bestandsaufnahme der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten. | § 260 BGB (Pflichten zur Rechenschaft) |
2. Ziele schriftlich festhalten | Definieren Sie gemeinsam mit dem Kunden konkrete, messbare Ziele. | Keine spezifische gesetzliche Grundlage, Best Practice |
3. Datenbasierte Entscheidungsfindung | Nutzen Sie Finanztools, um Prognosen und Szenarien zu simulieren. | MaRisk (Mindestanforderungen an das Risikomanagement) |
4. Emotionsmanagement einbauen | Bieten Sie Möglichkeiten zur Reflexion emotionaler Einflüsse an. | Psychologische Beratung als Ergänzung, keine Pflicht |
5. Regelmäßige Strategie-Reviews | Überprüfen Sie gemeinsam mit dem Kunden regelmäßig die Ziele und die aktuelle Finanzstrategie. | § 311 BGB (Pflichten im Schuldverhältnis) |
Fazit
Finanz- und Nachfolgeplaner können viel aus der Erkenntnis ziehen, dass Erinnerungen Konstruktionen sind. Indem sie objektive Daten in den Mittelpunkt stellen, emotionale Einflüsse berücksichtigen und regelmäßige Überprüfungen durchführen, helfen sie ihren Kunden, fundierte und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. So schaffen sie nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern auch Vertrauen in den Beratungsprozess.