Wie spricht man mit Kunden über den Tod, ohne sie zu verstören?
Wirtschaftspsychologe Janko Laumann vom Institut für angewandte Finanzpsychologie und weitere Branchenvertreter plädierten eindringlich für einen Paradigmenwechsel weg vom umstrittenen “Probesterben” hin zu einer emotionssensiblen Gesprächsführung.
Wenn Beratung zum emotionalen Schock wird
“Stellen Sie sich vor, Sie wären gestern gestorben“ – mit solchen Formulierungen konfrontieren viele Finanzberater ihre Mandanten, um das Thema Nachlassplanung anzugehen. Doch diese Methode des sogenannten „Probesterbens“ steht zunehmend in der Kritik. „Beim Probesterben schießen Sie den Kunden emotional ab“, warnte Laumann eindringlich. „Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen virtueller und realer Erfahrung – das ist ein hochemotionales Erlebnis.“
Der Wirtschaftspsychologe erläuterte die neurobiologischen Hintergründe: 95 Prozent aller Entscheidungen werden unbewusst und emotional getroffen. Beim Thema Tod komme erschwerend hinzu, dass Menschen sich nicht nur fürchten, sondern sich regelrecht ekeln – eine Emotion, die zur kompletten Informationsverweigerung führe. „Ekel führt dazu, dass wir weitere Informationsaufnahme ablehnen“, so der Experte.
Kaltakquise mit verheerenden Folgen
Besonders problematisch wird es, wenn Berater das Thema ohne Vorwarnung ansprechen. Die Teilnehmer des Webinars waren sich einig: „Kaltakquise bei Tabuthemen kann verheerende Folgen haben.“ Ein Kunde, der gerade einen Todesfall erlebt hat, oder Ehepaare mit ungeklärten Familienverhältnissen seien besonders verletzlich. Laumann schilderte Beispiele aus der Praxis, wo solche Gespräche Beziehungen belasteten oder Mandanten völlig verschreckten.
Charmante Alternativen ohne Schockeffekt
Die Experten präsentierten konkrete Lösungsansätze: Statt Kunden zum „Probesterben“ aufzufordern, empfehlen sie Formulierungen wie „Was muss passieren, damit die Vermögensübertragung auf Ihre Kinder in Ihrem Sinne geregelt ist?“ oder „Wie stellen Sie sich die Vermögensübertragung vor?“
“Diese Fragen führen zum gleichen Ziel, ohne dass der Kunde emotional abgeschossen wird”, erklärte Laumann. “Alle wissen, was gemeint ist, aber niemand muss sterben.” Entscheidend sei eine vorausschauende Emotionsregulation: Schwierige Themen sollten vorab angekündigt werden, damit Kunden sich mental darauf einstellen können.
Branchenweiter Wandel dringend erforderlich
Das Thema gewinnt an Brisanz, da angesichts des demografischen Wandels massive Vermögensübertragungen anstehen. “Ganze Branchen steigen ein, weil sie merken: Da wird viel Vermögen übertragen”, beobachtet Laumann kritisch. Von Steuerberatern bis Wirtschaftsprüfern – alle entdecken plötzlich das “Probesterben” für sich, ohne die psychologischen Folgen zu bedenken.
Besonders kritisierte der Psychologe die widersprüchliche Haltung der Branche zu Emotionen: “Einerseits predigt man ‘erfolgreich investieren ohne Emotionen’, andererseits schießt man beim Probesterben voll in die emotionale Nummer.” Dabei seien alle Entscheidungen grundsätzlich emotional – ein Fakt, den die Neurobiologie eindeutig belege.
Ausblick: Emotionen als Erfolgsfaktor
Die Botschaft der Experten ist eindeutig: Professionelle Finanzberatung kann auch bei schwierigen Themen ohne emotionale Schocktherapien auskommen. “Es ist geschmeidig möglich”, so Laumann abschließend. “Und der Kunde denkt: Wow, daran hat er gedacht.”
Infokasten: Kommunikationsregeln für sensible Themen
Vorlauf geben: Schwierige Themen vorab ankündigen, nicht als Kaltakquise
Emotionsregulation: Ruhig und entspannt bleiben, normale Stimmlage verwenden
Kontrolle beim Kunden lassen: Reaktions- und entscheidungsoffen kommunizieren
Alternative Formulierungen: Über Vermögensübertragung und Wünsche sprechen statt über Tod
Bei Unbehagen: Gespräch sofort verschieben und später neu ansetzen
Bedeutung reduzieren: Thema nicht überdramatisieren, sondern als normale Beratungsaufgabe behandeln