Wegzug in ein Niedrigsteuerland: Was Finanz- und Nachfolgeplaner jetzt über die neue BFH-Entscheidung wissen müssen
Wer seinen Lebensmittelpunkt in ein Niedrigsteuerland verlegt, um von dort steuerlich günstiger zu agieren, gerät schnell in den Fokus der deutschen Finanzverwaltung. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 14. Januar 2025 in einem Grundsatzurteil die Bedingungen für die sogenannte „erweiterte beschränkte Steuerpflicht“ konkretisiert. Damit gibt es für Berater und ihre vermögenden Mandanten neue Spielregeln bei der steueroptimierten Auswanderung – insbesondere, wenn in Deutschland weiterhin wirtschaftliche Interessen bestehen.
Hintergrund: Was ist die erweiterte beschränkte Steuerpflicht?
Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht greift bei deutschen Staatsangehörigen, die ins Ausland ziehen und dort steuerlich begünstigt behandelt werden, jedoch in Deutschland wesentliche wirtschaftliche Interessen zurücklassen. Ziel ist es, sogenannte „steuerliche Gestaltungen durch Wegzug“ einzudämmen. Denn: Wer etwa Anteile an Kapitalgesellschaften, Immobilien oder umfangreiche Einkünfte aus inländischen Quellen behält, wird auch nach dem Wegzug weiter in die deutsche Steuerpflicht einbezogen – zumindest unter bestimmten Voraussetzungen.
Konkret verlangt das Gesetz drei Dinge:
- Der Steuerpflichtige war in den letzten zehn Jahren mindestens fünf Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig.
- Der Wegzug erfolgt in ein Land mit niedriger Besteuerung oder besonderem Vorzugssteuermodell.
- Es bestehen weiterhin erhebliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland – etwa durch Beteiligungen, Immobilien oder Geschäftsführertätigkeiten.
Wird einer dieser Punkte nicht erfüllt, greift die Regelung nicht. Werden jedoch alle Kriterien bejaht, so bleiben bestimmte ausländische Einkünfte weiterhin in Deutschland steuerpflichtig – trotz Wohnsitzverlagerung.
Das Urteil vom 14. Januar 2025: Der Fall „Remittance Basis Taxation“ in Großbritannien
Der BFH hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem ein deutscher Staatsbürger nach Großbritannien verzog und dort von der „Remittance Basis“ profitierte. Dieses Besteuerungsregime ermöglichte es, ausländische Einkünfte nur dann zu versteuern, wenn sie auch tatsächlich nach Großbritannien transferiert wurden. Andernfalls blieben sie steuerfrei – ein typisches Merkmal von Vorzugsbesteuerung.
Der BFH stellte klar, dass es für die Anwendung der erweiterten beschränkten Steuerpflicht nicht auf die tatsächliche Steuerlast des einzelnen Steuerpflichtigen ankommt, sondern auf die Struktur des ausländischen Besteuerungssystems. Sobald dieses eine besondere, nicht allgemein zugängliche Steuervergünstigung gewährt, liegt eine „Vorzugsbesteuerung“ vor – mit der Folge, dass die deutsche Steuerpflicht teilweise bestehen bleibt.
Der besondere Clou dabei: Selbst wenn der Steuerpflichtige in der Praxis keine niedrigere Steuerbelastung hat, reicht bereits das Bestehen einer gesetzlich möglichen Vorzugsregelung aus. Dies betrifft viele vermögende Privatpersonen, die etwa über Familienstiftungen, Holdingstrukturen oder Trusts verfügen.
Praktisches Beispiel: Ein Wegzug nach Portugal
Ein häufig gewähltes Zielland vermögender deutscher Mandanten ist Portugal. Mit dem „Non-Habitual Resident“-Regime (NHR) konnte bis Ende 2023 eine zehnjährige Steuerfreiheit für bestimmte ausländische Einkünfte erreicht werden – etwa für Renten oder Dividenden.
Ein deutscher Unternehmer verlegt seinen Wohnsitz nach Lissabon, behält aber eine Holding in Deutschland, über die er Kapitalbeteiligungen verwaltet. Die Holding erzielt regelmäßig Einnahmen aus Beteiligungen an deutschen GmbHs. Der Unternehmer selbst nutzt in Portugal das NHR-Regime.
Ergebnis: Aufgrund der Vorzugsbesteuerung des NHR-Modells und der wirtschaftlichen Verflechtungen in Deutschland bleibt der Unternehmer für bestimmte Einkünfte weiterhin der deutschen Einkommensteuer unterworfen – obwohl er steuerlich eigentlich in Portugal ansässig ist.
Kritik und Bedeutung für die Praxis
Das BFH-Urteil hat weitreichende Folgen für die Nachfolgeplanung und Vermögensstrukturierung international aufgestellter Familien. Eine bloße Verlagerung des Wohnsitzes reicht nicht mehr aus, um sich der deutschen Steuerpflicht zu entziehen, wenn wesentliche Vermögensverflechtungen bestehen bleiben.
Auch typische Lebensmodelle mit Wohnsitz in der Schweiz, in Dubai oder in Südostasien sind betroffen – insbesondere, wenn es dort steuerliche Sonderregime gibt oder keine Einkommensbesteuerung vorgesehen ist. Der Berater muss daher frühzeitig prüfen, welche konkreten Steuerfolgen sich aus einem geplanten Wegzug ergeben – und welche Gestaltungen ggf. vor dem Wegzug noch umgesetzt werden sollten.
Handlungsbedarf für Finanz- und Nachfolgeplaner
Das Urteil führt zu einem Paradigmenwechsel. Nicht mehr nur der Lebensmittelpunkt zählt, sondern auch die steuerliche Systematik des neuen Wohnsitzstaates. Für Berater bedeutet das:
- Frühzeitige steuerliche Analyse vor dem Wegzug
- Prüfung alternativer Strukturen (z. B. Familiengesellschaften, Nießbrauchmodelle)
- Vorsicht bei faktischen wirtschaftlichen Bindungen zu Deutschland
- Abwägung zwischen Steuersparpotenzial und Komplexität der Rechtslage
- Lückenlose Dokumentation aller Maßnahmen im Kontext der Wegzugsplanung
Ein einfacher Wohnsitzwechsel kann massive Steuerfolgen nach sich ziehen – die unter Umständen viele Jahre nachwirken. Deshalb sollte jeder Wegzug in ein Niedrigsteuerland mit einem strukturierten Maßnahmenplan vorbereitet und eng begleitet werden.
Anhang: Checkliste zur erweiterten beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 AStG)
Schritt | Maßnahme | Rechtliche Grundlage |
---|---|---|
1 | Analyse der Steuerpflicht in den letzten 10 Jahren | § 2 Abs. 1 Nr. 1 AStG |
2 | Prüfung der Besteuerung im Zielstaat (Tarifvergleich + Sonderregime) | § 2 Abs. 2 AStG |
3 | Identifikation wirtschaftlicher Interessen in Deutschland (z. B. Kapitalgesellschaft, Immobilien, Tätigkeiten) | § 2 Abs. 1 Nr. 3 AStG |
4 | Prüfung auf Vorliegen einer Vorzugsbesteuerung (z. B. NHR, Remittance Basis, Flat-Tax-Modelle) | BFH, IX R 37/21 |
5 | Erstellung eines steuerlichen Maßnahmenplans mit Dokumentation | Beratungspraxis |
6 | Abstimmung mit Steuerberatern in beiden Ländern | Empfehlung |
7 | Laufende Überwachung der relevanten wirtschaftlichen Verhältnisse | Regelmäßige Prüfung |
Quellenverzeichnis
- Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.01.2025 – IX R 37/21
- Außensteuergesetz (AStG), insbesondere § 2
- PE-Magazin, Artikel vom 16. Januar 2025: „Wegzug in ein Niedrigsteuerland und die BFH-Entscheidung vom 14.01.2025“
- Informationsschreiben des BMF zur erweiterten beschränkten Steuerpflicht
- Praxisberichte zu NHR (