Der Fall
Am 13.12.2023 entschied das Landgericht Lübeck in einem erbrechtlichen Streitfall zwischen zwei Brüdern, die um das Erbe ihrer verstorbenen Mutter stritten. Die zentrale Frage war, ob der eine Bruder durch ein Testament wirksam enterbt wurde und ob der andere Bruder als Alleinerbe eingesetzt werden konnte. Besonders brisant an diesem Fall war die Auseinandersetzung darüber, ob das maschinengeschriebene Schreiben der Mutter eine Rolle bei der Auslegung ihres letzten Willens spielen durfte, obwohl es nicht die formalen Anforderungen eines Testaments erfüllte.
Ausgangslage: Die Testamente der Mutter
Die Mutter der beiden Brüder hatte zu Lebzeiten zwei Testamente verfasst. Das erste war handschriftlich verfasst und unterzeichnet, das zweite war jedoch maschinengeschrieben. Im handschriftlichen Testament verfügte die Mutter, dass eines ihrer Kinder, also einer der beiden Söhne, vom Pflichtteil ausgeschlossen werden sollte („Pflichtteilentzug“). Dies wurde von ihr mit schwerwiegenden Verhaltensweisen dieses Kindes begründet, insbesondere mit wiederholten Morddrohungen gegen die Mutter und einem unüberbrückbar zerrütteten Verhältnis.
Zu einem späteren Zeitpunkt verfasste die Mutter ein maschinengeschriebenes Schreiben, in dem sie noch detaillierter ihren letzten Willen festhielt. Darin erklärte sie, dass nur eines ihrer Kinder – der Sohn, der ihr nicht gedroht hatte – das gesamte Vermögen und das Grundstück erben solle. Der andere Sohn, der mehrfach Morddrohungen gegen die Mutter ausgesprochen hatte, solle gänzlich vom Erbe ausgeschlossen werden. Dieses Schreiben unterzeichnete sie jedoch nicht handschriftlich und es entsprach nicht den strengen formalen Anforderungen des Erbrechts an ein Testament (§ 2247 BGB), das handschriftlich und persönlich unterschrieben sein muss, um wirksam zu sein.
Der Streit zwischen den Brüdern
Nach dem Tod der Mutter erhob der enterbte Sohn Einspruch gegen die Gültigkeit des maschinengeschriebenen Testaments. Er argumentierte, dass dieses Dokument nicht den formalen Anforderungen eines Testaments genüge und daher nicht berücksichtigt werden dürfe. Außerdem beanspruchte er seinen gesetzlichen Erbanspruch, da nach seiner Ansicht kein wirksames Testament existiere, das seine Enterbung festlege.
Der andere Sohn hingegen ging davon aus, dass er aufgrund des maschinengeschriebenen Schreibens der Mutter als Alleinerbe eingesetzt worden sei. Er stützte sich auf den Inhalt dieses Dokuments und darauf, dass seine Mutter mit Nachdruck ihren Willen bekundet habe, den anderen Sohn wegen seines Verhaltens zu enterben.
Die Entscheidung des Landgerichts Lübeck
Das Landgericht Lübeck stellte in seiner Entscheidung fest, dass der Sohn, der die Morddrohungen gegen seine Mutter ausgesprochen hatte, wirksam enterbt worden sei. Dabei stützte sich das Gericht jedoch nicht auf das maschinengeschriebene Testament, sondern auf das handschriftliche Testament der Mutter. Das maschinengeschriebene Schreiben wurde jedoch zur Interpretation des letzten Willens der Erblasserin herangezogen.
Formgültigkeit des handschriftlichen Testaments
Das Gericht stellte klar, dass das handschriftliche Testament der Mutter die formalen Anforderungen an ein Testament erfüllt und daher rechtlich bindend ist. Gemäß § 2247 BGB muss ein Testament vollständig handschriftlich verfasst und unterschrieben sein, um wirksam zu sein. Dies war bei dem handschriftlichen Testament der Mutter der Fall, sodass es die Grundlage der Entscheidung bildete.
Auslegung des maschinengeschriebenen Schreibens
Obwohl das maschinengeschriebene Testament nicht formgültig war, nahm das Gericht es dennoch zur Auslegung des Willens der Erblasserin heran. Hierbei machte das Gericht deutlich, dass bei der Ermittlung des letzten Willens eines Erblassers nicht nur der Wortlaut eines Testaments, sondern auch alle Umstände, die den Willen des Erblassers zu seinen Lebzeiten widerspiegeln, berücksichtigt werden müssen. Diese können auch nachträgliche, nicht formgültige Erklärungen umfassen, wie in diesem Fall das maschinengeschriebene Schreiben der Mutter.
Das Gericht würdigte alle Nebenumstände, die auf den Willen der Mutter hindeuteten, ihren einen Sohn zu enterben. Insbesondere die Morddrohungen und das unüberbrückbar zerrüttete Verhältnis wurden als gewichtige Gründe gewertet, die die Mutter dazu veranlassten, den Pflichtteil des einen Sohnes zu entziehen. Obwohl der Pflichtteilentzug im Erbrecht strengen Anforderungen unterliegt und nur unter sehr schwerwiegenden Gründen möglich ist, sah das Gericht diese hier als erfüllt an.
Pflichtteilentzug: Voraussetzungen und Begründung
Der Pflichtteil ist der gesetzlich garantierte Mindestanspruch auf einen Teil des Nachlasses, den ein naher Verwandter, in diesem Fall der Sohn, auch im Falle einer Enterbung erhalten würde. Gemäß § 2333 BGB kann der Pflichtteil jedoch entzogen werden, wenn der Erbe eine schwere Verfehlung gegen den Erblasser oder dessen nahe Angehörige begangen hat. Zu solchen schweren Verfehlungen zählen u.a. Gewaltandrohungen oder schwere Vergehen gegen das Leben und die Gesundheit des Erblassers.
Das Gericht erkannte in den mehrfachen Morddrohungen des enterbten Sohnes eine solche schwerwiegende Verfehlung und sah den Pflichtteilentzug somit als gerechtfertigt an.
Bedeutung des Urteils für die Praxis
Dieses Urteil zeigt die Wichtigkeit, den letzten Willen formgerecht festzuhalten, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Ein handschriftliches Testament ist in Deutschland eine der einfachsten und häufigsten Möglichkeiten, den Nachlass zu regeln. Dabei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass der Wille des Erblassers klar und unmissverständlich formuliert wird, und dass formelle Anforderungen wie die Handschriftlichkeit und Unterschrift beachtet werden.
Das Urteil unterstreicht außerdem, dass auch nicht formgültige Erklärungen, wie das maschinengeschriebene Schreiben in diesem Fall, zur Auslegung des letzten Willens herangezogen werden können. Diese können wichtige Hinweise darauf geben, was der Erblasser tatsächlich wollte, obwohl sie nicht alle formalen Voraussetzungen eines Testaments erfüllen.
Fazit
Im vorliegenden Fall entschied das Landgericht Lübeck zugunsten des Sohnes, der im handschriftlichen Testament als Alleinerbe eingesetzt war. Der Pflichtteilentzug des anderen Sohnes wurde als wirksam anerkannt, da die Mutter schwerwiegende Gründe dafür geltend gemacht hatte. Das Urteil zeigt die Bedeutung formgültiger Testamente und bietet zugleich wichtige Einblicke in die Praxis der Testamentserstellung und -auslegung, insbesondere im Kontext von Pflichtteilentzug und Enterbung.