Zum 1. Januar 2025 ist das deutsche Pflege- und Sozialrecht still, aber folgenreich reformiert worden. Die Änderungen betreffen nicht nur Pflegebedürftige, sondern entfalten primär für deren Angehörige und Berater im Bereich der Vermögensübertragung neue Relevanz. Im Zentrum steht dabei die erweiterte Zugriffsmöglichkeit der Sozialhilfeträger auf zuvor verschenktes Vermögen – ein Thema, das Finanz- und Nachfolgeplaner ab sofort in jede Beratung einbeziehen müssen.
Pflegegrad 3 als Auslöser für Prüfverfahren
Kern der neuen Regelung ist die automatische Verknüpfung zwischen Pflegegrad 3 und der sogenannten „Verarmungsvermutung“. Erhält eine pflegebedürftige Person diesen Pflegegrad, dürfen die Sozialhilfeträger ohne gesondertes medizinisches oder wirtschaftliches Gutachten davon ausgehen, dass eine Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB XII besteht. Konsequenz: Innerhalb eines rückwirkenden Zehnjahreszeitraums können Schenkungen überprüft und gegebenenfalls rückgängig gemacht werden – auch wenn zum Zeitpunkt der Schenkung keine Pflegebedürftigkeit vorlag.
Praxisbeispiel:
Ein verwitweter Rentner überträgt 2020 sein Einfamilienhaus auf seine Tochter und sichert sich ein lebenslanges Wohnrecht. 2025 wird ihm Pflegegrad 3 zuerkannt. Das Sozialamt prüft die Schenkung rückwirkend, da der Mann zwischenzeitlich pflegebedürftig wird und die Pflegekosten nicht mehr selbst tragen kann. Die Tochter muss nun nachweisen, dass der Vater bei Übergabe liquide war.
Beweislastumkehr bei Schenkungen
Erstmals wird die gesetzliche Vermutung gestärkt, dass verschenktes Vermögen im Fall von Pflegebedürftigkeit vorrangig zur Finanzierung der Pflegekosten hätte verwendet werden müssen. Der entscheidende Punkt: Der Beschenkte muss nun beweisen, dass der Schenker zum Zeitpunkt der Übertragung über ausreichend finanzielle Mittel verfügte, um die eigene Pflege langfristig zu sichern. Dieser Nachweis kann etwa durch Rentenbescheide, Depotauszüge, Versicherungsverträge oder Testate von Steuerberatern erfolgen. Ohne diesen Nachweis droht eine Rückabwicklung oder zumindest eine Forderung gegenüber dem Beschenkten.
Praxisbeispiel:
Ein Vater schenkt 2019 seiner Tochter eine vermietete Eigentumswohnung. 2025 erkrankt er schwer und wird pflegebedürftig. Da die Unterlagen zur finanziellen Lage 2019 lückenhaft sind, wird die Schenkung durch das Sozialamt infrage gestellt.
Schonvermögen neu definiert
Mit der Reform wird auch das bislang wenig beachtete Schonvermögen strenger geregelt. Künftig gilt ein einheitlicher Deckel von 50.000 EUR pro Schenker, unabhängig von der Art oder Anzahl der übertragenen Immobilien. Dieser Betrag wird zum bisherigen Freibetrag von 10.000 EUR für Alleinstehende bzw. 20.000 EUR für Ehepaare hinzugerechnet.
Rechenbeispiel:
Eine verwitwete Mutter schenkt ihrer Tochter ein Mietshaus im Wert von 800.000 EUR und behält sich einen Nießbrauch vor. Fällt sie später unter Pflegegrad 3 und überschreitet dabei die neue Schonvermögensgrenze, wird die Schenkung anrechenbar – der Nießbrauch schützt nicht mehr in jedem Fall vor Regress.
Indirekter Verzicht auf Nießbrauch wird kritisch
Ein besonders heikler Punkt der Reform ist die neue Bewertung von sogenannten „schleichenden“ Nießbrauchverzichten. Wenn z. B. ein übertragenes Haus nicht mehr aktiv bewirtschaftet oder das Nutzungsrecht nicht geltend gemacht wird (z. B. durch Unterlassung der Mietzahlung bei Angehörigen), kann dies nun als konkludente Schenkung gewertet werden. Das Sozialamt kann in solchen Fällen den Regress auslösen – selbst wenn kein formeller Verzicht vorliegt.
Dokumentation wird zum Pflichtbestandteil jeder Planung
Neu ist auch die erhöhte Dokumentationsanforderung: Wer Vermögen überträgt, muss künftig schriftlich festhalten, dass der Schenker im Zeitpunkt der Übertragung voraussichtlich dauerhaft in der Lage war, die Kosten einer möglichen Pflegebedürftigkeit zu tragen. Diese Klausel wird zur rechtlichen Absicherung für alle Beteiligten – fehlt sie, steigt das Haftungs- und Rückforderungsrisiko erheblich.
Strategien für Finanz- und Nachfolgeplaner
Die Reform verlangt eine neue Planungskultur. Vermögensübertragungen – ob durch Schenkung, Familiengesellschaft oder andere Modelle – müssen künftig noch genauer auf Langzeitwirkungen geprüft werden. Dabei ergeben sich mehrere Handlungsoptionen:
Pflegevorsorge als Schutzinstrument
Pflegezusatzversicherungen wie Pflege-Bahr oder private Verträge mit Pflegetagegeld sind vom Schonvermögen ausgenommen. Ihre gezielte Einbindung kann helfen, den Nachweis langfristiger Pflegefinanzierung zu sichern. Auch Pflege-Riester-Verträge gewinnen unter dem neuen Regime an Bedeutung – sofern diese rechtzeitig und strategisch in die Planung eingebaut werden.
Nießbrauch konkretisieren
Nießbrauchregelungen müssen nun klar, nachweisbar und belastbar dokumentiert sein – idealerweise mit Miet- oder Nutzungsverträgen, auch unter Angehörigen. Eine pauschale mündliche Abrede reicht nicht mehr aus.
Beratungspflicht vor Vermögensumschichtung
Ab einem relevanten Vermögenswert empfiehlt sich eine qualifizierte sozialrechtliche Vorabprüfung durch Fachanwälte oder spezialisierte Beratungsstellen. Auch Pflegestützpunkte können in der Frühphase strategisch eingebunden werden.
Familienintern offen kommunizieren
Nicht zuletzt: Wer heute innerhalb der Familie Vermögen überträgt, sollte offen über das Thema Pflege und Regress sprechen. Finanzielle Transparenz kann spätere Konflikte – und mögliche Rückforderungen – vermeiden helfen.
Checkliste für Finanz- und Nachfolgeplaner: Regresssicher schenken nach der Pflegereform 2025
Schritt | Maßnahme | Ziel | Rechtsquelle / Hinweis |
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1 | Prüfung der Pflegevorsorge des Schenkers | Sicherstellung der langfristigen Selbstversorgung im Pflegefall | § 528 BGB, SGB XII |
2 | Dokumentation der finanziellen Leistungsfähigkeit zum Schenkungszeitpunkt | Nachweispflicht gegenüber Sozialhilfeträgern | BGH, Urteil v. 12.10.2023 – III ZR 81/22 |
3 | Schriftliche Festlegung von Nießbrauch und Nutzungsrechten | Vermeidung des Anscheins eines Verzichts | § 1030 ff. BGB |
4 | Berücksichtigung der 50.000 EUR-Grenze je Schenker (zuzüglich Freibeträge) | Einhaltung des neuen Schonvermögens | Quelle: IWW-Institut, SR 2024, 142 |
5 | Erstellung einer Widerrufsklausel bei unerwarteter Bedürftigkeit | Rückforderungsrecht absichern | § 530 BGB |
6 | Frühzeitige Konsultation von Fachanwälten für Sozialrecht | Vermeidung teurer Rückabwicklungen | www.pflegestuetzpunkte.de |
7 | Klare vertragliche Regelung bei Schenkung an Familienmitglieder | Absicherung gegen Regressforderungen | §§ 516, 528 BGB |
8 | Regelmäßige Überprüfung bestehender Schenkungsverträge | Anpassung an neue Gesetzeslage | SGB XII n. F. ab 01.01.2025 |
Fazit:
Mit den gesetzlichen Änderungen ab 2025 verschärft sich die sozialrechtliche Bewertung von Schenkungen im familiären Kontext erheblich. Finanz- und Nachfolgeplaner sind nun gefordert, präventiv und strategisch vorzugehen – insbesondere bei Immobilienübertragungen und familiären Vermögensstrukturen. Wer heute handelt, kann morgen schützen – sich selbst, seine Klienten und deren Vermögen.