Die Zahl der Deutschen in der Schweiz wächst seit Jahren kontinuierlich. Anfang 2024 lebten mehr als 323.000 Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Nachbarland – fast 11 % mehr als noch vor zehn Jahren. Für viele ist der Umzug in die Schweiz ein bewusster Schritt: bessere Lebensqualität, politische Stabilität, attraktive steuerliche Rahmenbedingungen, internationale Arbeitsmärkte. Doch wer über Grenzen hinweg lebt, investiert oder vererbt, bewegt sich in einem Spannungsfeld aus unterschiedlichen Rechtsordnungen, steuerlichen Systemen und kulturellen Praktiken.
Für Finanz- und Nachfolgeplaner bedeutet dies: eine zunehmende Nachfrage nach grenzüberschreitender Expertise. Der Wohnsitzwechsel von Deutschland in die Schweiz berührt zentrale Themen – von der Wegzugsbesteuerung über internationale Nachfolgeplanung bis hin zu Fragen der Unternehmensübertragung und Vorsorge. Ohne sorgfältige Planung können schwerwiegende steuerliche und rechtliche Nachteile entstehen.
Dieser Beitrag analysiert die wichtigsten Aspekte für Experten, zeigt praxisnahe Beispiele und bietet eine strukturierte Orientierung für die tägliche Beratungspraxis.
Steuerrechtliche Rahmenbedingungen
Wegzugsbesteuerung in Deutschland
Wer Deutschland verlässt, nimmt nicht nur sein Gepäck mit, sondern auch potenzielle steuerliche Verpflichtungen. Besonders kritisch ist die sogenannte Wegzugsbesteuerung. Sie greift, wenn eine Person Anteile an Kapitalgesellschaften hält und in den letzten zwölf Jahren mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war. Schon eine Beteiligung von mindestens einem Prozent genügt, um stille Reserven so zu behandeln, als seien sie verkauft worden.
Diese fiktive Veräußerung löst in Deutschland sofort Steuerpflicht aus – unabhängig davon, ob tatsächlich Geld geflossen ist. In der Praxis bedeutet dies, dass viele Unternehmer und Investoren mit erheblichen Liquiditätsengpässen rechnen müssen, wenn sie den Schritt in die Schweiz unvorbereitet gehen. Zwar können Stundungen beantragt werden, doch die Finanzverwaltung verlangt häufig Sicherheiten und setzt die Steuer zunächst verbindlich fest.
Doppelbesteuerungsabkommen und überdachende Besteuerung
Das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen Deutschland und der Schweiz soll verhindern, dass Einkommen doppelt belastet wird. Es regelt unter anderem, welches Land Einkünfte aus Arbeit, Kapital oder Immobilien besteuern darf.
Eine Besonderheit ist die sogenannte überdachende Besteuerung. Sie ermöglicht es Deutschland, für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren nach dem Wegzug bestimmte Einkünfte weiterhin zu erfassen. Betroffen sind insbesondere Kapitalerträge oder stille Reserven. Für Steuerpflichtige bedeutet dies: Auch nach dem Umzug bleibt Deutschland in bestimmten Konstellationen steuerlich präsent.
Steuerpflicht in der Schweiz
In der Schweiz gilt das Wohnsitz- und Aufenthaltsprinzip. Wer mehr als 183 Tage im Jahr dort lebt oder eine ständige Wohnstätte unterhält, wird unbeschränkt steuerpflichtig. Besonders bekannt ist die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung in einigen Kantonen, die sich am Lebensaufwand und nicht am tatsächlichen Einkommen orientiert. Diese Regelung richtet sich vor allem an vermögende Privatpersonen, ist jedoch kantonal unterschiedlich ausgestaltet und an strenge Voraussetzungen gebunden.
Rechtliche Schnittstellen in der Nachfolge- und Erbplanung
Internationale Nachlassplanung
Bei grenzüberschreitenden Familien- und Vermögenskonstellationen wird die Nachlassplanung komplex. Unterschiedliche Erbrechtsordnungen, Pflichtteilsregelungen und Formvorschriften können dazu führen, dass Testamente nicht wie gewünscht umgesetzt werden.
In Deutschland ist das Erbrecht stark von der Familie geprägt: Kinder und Ehegatten haben Pflichtteilsrechte, die nicht einfach ausgeschlossen werden können. In der Schweiz bestehen ähnliche, aber teilweise abweichende Regeln. Zudem spielt das internationale Privatrecht eine entscheidende Rolle. Wer in der Schweiz wohnt, aber deutscher Staatsbürger ist, kann unter Umständen deutsches Erbrecht für seinen Nachlass wählen.
Ohne klare Rechtswahl droht ein Flickenteppich an Zuständigkeiten. Ein Testament, das in Deutschland problemlos gültig wäre, könnte in der Schweiz nur eingeschränkt anerkannt werden. Finanz- und Nachfolgeplaner müssen daher die länderübergreifende Formgültigkeit stets prüfen.
Unternehmensnachfolge und Firmenübertragungen
Besonders anspruchsvoll ist die Unternehmensnachfolge bei Wegzug. Hält ein Unternehmer wesentliche Beteiligungen in Deutschland, wird die Wegzugsbesteuerung zur zentralen Hürde. Gleichzeitig können Erbschaft- und Schenkungsteuern in beiden Staaten anfallen, wenn keine abgestimmte Strategie vorliegt.
Strukturierungen über Holdinggesellschaften, Familienstiftungen oder schrittweise Übertragungen sind gängige Instrumente. Sie helfen, Liquidität zu sichern und steuerliche Belastungen zu steuern. Entscheidend ist jedoch der richtige Zeitpunkt: Erfolgt die Umstrukturierung erst kurz vor dem Umzug, drohen steuerliche Nachteile. Frühzeitige Planung – idealerweise mehrere Jahre vor einem Wohnsitzwechsel – ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Gestaltung.
Praxisbeispiele
Unternehmerfamilie mit Beteiligungen in Deutschland
Eine Familie plant den Umzug nach Zürich. Der Vater hält 40 % einer deutschen GmbH, die Mutter weitere 5 %. Beide sind seit Jahrzehnten in Deutschland steuerpflichtig. Ohne Maßnahmen würde die Wegzugsbesteuerung stille Reserven in Millionenhöhe auslösen.
Die Lösung bestand in einer rechtzeitigen Übertragung der GmbH-Anteile in eine Familienstiftung. Dadurch konnte die Steuerlast aufgeteilt und über mehrere Jahre verteilt werden. Zusätzlich wurde in der Schweiz eine Wohnsitzgemeinde mit moderaten Vermögenssteuern gewählt. Ergebnis: Steuerlast optimiert, Liquidität gesichert, Nachfolge langfristig abgesichert.
Erbfall mit Vermögen in beiden Staaten
Ein deutscher Erblasser mit Wohnsitz in Basel hinterlässt Immobilien in München und Genf. Seine Kinder leben in beiden Ländern. Das Testament war nach deutschem Recht errichtet, ohne ausdrückliche Rechtswahl. In der Folge drohte eine parallele Anwendung von deutschem und schweizerischem Recht.
Durch nachträgliche Beratung konnte das Testament angepasst und deutsches Erbrecht verbindlich bestimmt werden. Zudem wurden steuerliche Freibeträge in beiden Ländern ausgeschöpft, sodass eine Doppelbesteuerung weitgehend vermieden wurde.
Grenzgänger mit Wochenaufenthalt
Ein Angestellter lebt in Konstanz, arbeitet jedoch in Zürich und nutzt dort eine Wochenwohnung. Durch die Zahl der Rückkehrtage drohte der Verlust des Grenzgängerstatus, was zu höheren Steuerabzügen geführt hätte. Mit sorgfältiger Dokumentation und Abstimmung zwischen beiden Finanzverwaltungen konnte der Status erhalten bleiben. Ergebnis: klare steuerliche Zuordnung und Vermeidung von Nachzahlungen.
Handlungsempfehlungen
Anhang A: Handlungsschritte
| Nr. | Handlungsschritt | Beschreibung |
|---|---|---|
| 1 | Statusanalyse | Feststellen, ob und wie lange unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland bestand. |
| 2 | Wegzugsbesteuerung prüfen | Identifikation stiller Reserven, Prüfung von Beteiligungen nach § 6 AStG. |
| 3 | Rechtswahl im Testament | Festlegen des anzuwendenden Erbrechts, Vermeidung widersprüchlicher Nachlassordnungen. |
| 4 | Vermögensstrukturierung | Holdinggesellschaften, Familienstiftungen, gestaffelte Übertragungen nutzen. |
| 5 | Simulation der Steuerlast | Vergleich unterschiedlicher Wohnsitz- und Einkommensszenarien. |
| 6 | Kantonale Unterschiede beachten | Analyse der Steuerbelastung in verschiedenen Schweizer Kantonen. |
| 7 | Dokumentation | Einhaltung internationaler Formvorschriften bei Testamenten und Urkunden. |
| 8 | Expertenberatung | Zusammenarbeit mit Steuer- und Rechtsexperten in beiden Staaten. |
| 9 | Compliance | Erfüllung aller Meldepflichten und Dokumentationsvorgaben. |
| 10 | Kontinuierliche Anpassung | Regelmäßige Überprüfung angesichts neuer Gesetzgebung. |
Rechtliche Quellen
Anhang B: Rechtliche Quellen
| Quelle | Inhalt / Relevanz |
|---|---|
| Außensteuergesetz (Deutschland) | Wegzugsbesteuerung, stille Reserven |
| Doppelbesteuerungsabkommen D–CH | Vermeidung von Doppelbesteuerung, Grenzgängerregelungen |
| Schweizer Steuerrecht | Pauschalbesteuerung, kantonale Unterschiede |
| Europäische Erbrechtsverordnung (ErbVO) | Rechtswahl im Erbrecht, internationale Anerkennung |
| Schweizer IPRG | Internationale Zuständigkeit und Anerkennung von Testamenten |
Praxisimplikationen
Anhang C: Zusammenfassung der wichtigsten Praxisimplikationen
- Ein Wegzug in die Schweiz ist steuerlich und rechtlich komplex – Planung ist unverzichtbar.
- Wegzugsbesteuerung kann existenzielle Belastungen auslösen, wenn sie nicht rechtzeitig adressiert wird.
- Die Rechtswahl im Testament entscheidet über Anerkennung und Durchsetzbarkeit im Erbfall.
- Unternehmensnachfolge muss Jahre vor einem Wohnsitzwechsel angestoßen werden.
- Unterschiedliche kantonale Steuersätze bieten Gestaltungsspielräume, die strategisch genutzt werden können.
- Ohne koordinierte Beratung in beiden Staaten steigt das Risiko einer doppelten Besteuerung erheblich.
Fazit
Die zunehmende Mobilität zwischen Deutschland und der Schweiz macht grenzüberschreitende Planung zu einem der zentralen Beratungsfelder für Finanz- und Nachfolgeplaner. Wer heute Mandanten begleitet, die Vermögen, Unternehmen oder ihren Lebensmittelpunkt über Grenzen hinweg verlagern, muss nicht nur steuerliche Details beherrschen, sondern auch internationale Rechtsstrukturen verstehen.
Die Herausforderung liegt darin, Chancen sichtbar zu machen und Risiken durch Struktur zu beherrschen. Ob es um die Sicherung des Lebenswerks, die Bewahrung von Familienvermögen oder die steueroptimierte Gestaltung geht – der Schlüssel liegt in frühzeitiger, fachübergreifender und konsequent strukturierter Beratung.