
Ein Urteil des FG Niedersachsen stärkt die Position Erben bei der Nutzung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG
Die steuerliche Befreiung für das sogenannte Familienheim (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG) gehört zu den zentralen Instrumenten der Erbschaftsteuerplanung. Doch was passiert, wenn der Einzug in das geerbte Elternhaus – etwa wegen bestehender Wohnrechte oder Renovierungsbedarf – verzögert erfolgt? Ein aktuelles Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen (Az. 3 K 80/24) zeigt: Es gibt Spielräume, die Berater kennen sollten.
Der Fall im Überblick
Ein Mann erbt das Wohnhaus seines Vaters. Der direkte Einzug verzögert sich jedoch aus zwei Gründen:
- Es bestand zunächst ein Wohnrecht einer dritten Person,
- im Anschluss erfolgten Renovierungsarbeiten.
Erst nach etwa zwei Jahren zog der Erbe in das Haus ein – und beantragte die Steuerbefreiung für das Familienheim.
Kernfrage: Ist die Steuerbefreiung auch dann möglich, wenn der Einzug deutlich später erfolgt?
Die Entscheidung des Finanzgerichts Niedersachsen
Trotz der Verzögerung gewährte das FG Niedersachsen die Steuerbefreiung. Die Richter sahen die Voraussetzung des unverzüglichen Einzugs als erfüllt an, weil der Erbe nachweislich nie gezögert habe, sondern äußere Umstände (Wohnrecht, Renovierung) den Einzug verhinderten.
Zitat aus dem Urteil (sinngemäß):
„Unverzüglich bedeutet nicht zwangsläufig sofort – sondern ohne schuldhaftes Zögern.“
Relevanz für die Beratungspraxis
1. Unverzüglichkeit ist auslegbar
Berater sollten Klienten darauf hinweisen, dass die gesetzliche Vorgabe des „unverzüglichen Einzugs“ nicht absolut zu verstehen ist. Verzögerungen können akzeptiert werden, wenn sie plausibel begründet und dokumentiert sind. Beispiele:
- Wohnrecht Dritter
- bauliche Mängel/Renovierungsarbeiten
- gesundheitliche Einschränkungen
2. Dokumentation ist entscheidend
Wird die Nutzung des Hauses als Familienheim nicht sofort aufgenommen, muss der Erbe:
- den Willen zum Einzug belegen (z. B. durch Bauaufträge, Kommunikation mit Behörden)
- nachvollziehbare Gründe für die Verzögerung darlegen
- den tatsächlichen Einzug später dokumentieren (Meldebestätigung, Einzugsdatum, Fotos etc.)
3. Frühzeitige Planung spart Steuern
Finanz- und Nachfolgeplaner sollten Mandanten mit Immobilien im Privatvermögen aktiv zur Gestaltung beraten:
- Prüfung auf Wohnrechte oder sonstige Belastungen im Grundbuch
- Vorabplanung der Renovierungsphase
- Alternativen zum Erwerb durch Erbfall (z. B. Schenkung mit Wohnrechtvorbehalt)
Steuerliche Konsequenz bei Nicht-Einzug
Ohne Nutzung zu eigenen Wohnzwecken entfällt die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Die Folge:
- Erbschaftsteuer auf den vollen Immobilienwert
- Keine anteilige Befreiung
- Rückwirkende Steuerpflicht bei späterem Auszug innerhalb von zehn Jahren
Checkliste für die Beratungspraxis
Prüffrage | Ja/Nein | Handlungsempfehlung |
---|---|---|
Liegt ein Wohnrecht Dritter vor? | ❑ | Fristen prüfen und ggf. Ablöse vereinbaren |
Ist das Haus renovierungsbedürftig? | ❑ | Zeitplan & Maßnahmen dokumentieren |
Gibt es Hinweise auf Eigenbedarf? | ❑ | Willensbildung zum Einzug dokumentieren |
Ist der Einzug innerhalb von 6 Monaten realistisch? | ❑ | Bei Überschreitung: Nachweise sichern |
Wird das Objekt nach Einzug tatsächlich genutzt? | ❑ | Meldebestätigung und Fotos archivieren |
Fazit
Die Entscheidung des FG Niedersachsen erweitert die Spielräume bei der steuerlichen Gestaltung im Rahmen der Erbschaft. Sie zeigt aber auch: Ohne sorgfältige Dokumentation ist das Risiko einer späteren Nachforderung erheblich. Finanz- und Nachfolgeplaner sollten daher aktiv auf potenzielle Stolperfallen hinweisen – und im Zweifel gerichtsfeste Nachweise sichern.
Rechtlicher Hinweis
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH (ggf. in Revision) zu einer anderen Beurteilung kommt. Für laufende Fälle ist jedoch eine Berufung auf die Argumentation des FG Niedersachsen sachlich begründbar.
Quellen (Auswahl)