1. Ausgangslage und rechtliche Einordnung
Das gesetzliche Ehegattenerbrecht zählt zu den zentralen Regelungsbereichen der erbrechtlichen Nachfolgeplanung. Es verbindet das Ehe- und Erbrecht, indem es dem überlebenden Ehegatten – solange die Ehe rechtlich besteht – eine gesetzliche Erbquote und Pflichtteilsrechte einräumt. Grundlage ist § 1931 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der den Erbteil des überlebenden Ehegatten in Abhängigkeit vom Güterstand bestimmt.
In der Praxis entstehen erhebliche Unsicherheiten, wenn sich Ehegatten im Stadium der Trennung oder laufenden Scheidung befinden. Denn in dieser Phase bestehen unterschiedliche rechtliche Wirkungen: Die Ehe besteht fort, das Erbrecht kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen entfallen. Maßgeblich ist, ob im Zeitpunkt des Erbfalls die Scheidung rechtskräftig oder mindestens vom Erblasser beantragt und die Voraussetzungen der Scheidung erfüllt waren (§ 1933 BGB). Diese Differenzierung hat erhebliche finanzielle und planerische Bedeutung.
Für Finanz- und Nachfolgeplaner stellt sich daher die Frage, wie Vermögensstrukturen, Pflichtteilsrisiken und güterrechtliche Überlebensklauseln in Trennungs- und Scheidungsphasen optimal gesteuert werden können, um ungewollte Erbansprüche oder Vermögensverschiebungen zu vermeiden.
2. Wegfall des Ehegattenerbrechts in der Scheidung
Nach § 1933 BGB entfällt das gesetzliche Ehegattenerbrecht, wenn zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers
- die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren,
- der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte, und
- der Scheidungsantrag dem anderen Ehegatten bereits zugegangen war.
Diese Regelung verhindert, dass ein Ehegatte, der objektiv nicht mehr in einer intakten Ehe lebt, noch am Nachlass beteiligt wird. Der Gesetzgeber knüpft den Wegfall an den Zugang des Scheidungsantrags und an die materiellen Voraussetzungen der Scheidung. Eine rein faktische Trennung ohne Antragserhebung lässt das Erbrecht dagegen bestehen.
In der Praxis ist die Abgrenzung entscheidend, etwa bei plötzlichem Tod während des Scheidungsverfahrens. Beispielhaft:
Praxisfall 1 – Tod während laufender Scheidung
Ein Unternehmer stirbt im Januar 2025, während ein Scheidungsverfahren bereits anhängig ist. Der Scheidungsantrag wurde seiner Ehefrau im Oktober 2024 zugestellt, die Voraussetzungen der Scheidung (§ 1565 BGB: Scheitern der Ehe, Trennung über ein Jahr) lagen vor.
→ Nach § 1933 BGB ist das Ehegattenerbrecht ausgeschlossen. Die Ehefrau ist nicht erbberechtigt, sondern pflichtteilsberechtigt nur aus dem eigenen Vermögen (wenn Güterstand Zugewinngemeinschaft).
Praxisfall 2 – Tod nach bloßer Trennung
Ein Erblasser lebt seit zwei Jahren getrennt, hat aber keinen Scheidungsantrag gestellt.
→ Die Ehe besteht fort, das gesetzliche Ehegattenerbrecht bleibt bestehen. Der überlebende Ehegatte erhält den Erbteil nach § 1931 BGB, typischerweise ein Viertel des Nachlasses zuzüglich pauschalem Zugewinnausgleich (§ 1371 Absatz 1 BGB), sodass sich eine Quote von ½ ergibt.
Dieser Unterschied kann zu erheblichen Vermögensverschiebungen führen und sollte in der Nachfolgeplanung aktiv berücksichtigt werden.
3. Pflichtteilsrechte bei Trennung und Scheidung
Auch der Pflichtteil (§ 2303 BGB) des Ehegatten entfällt gemäß § 1933 Satz 2 BGB, wenn die Voraussetzungen für den Wegfall des Ehegattenerbrechts erfüllt sind. Der überlebende Ehegatte hat also weder Erb- noch Pflichtteilsrecht, sofern der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hat und die materiellen Voraussetzungen vorlagen.
Solange dies nicht der Fall ist, besteht das Pflichtteilsrecht fort – selbst bei jahrelanger Trennung ohne Scheidungsantrag. Das birgt Risiken insbesondere bei hohen Immobilien- oder Unternehmenswerten, da Pflichtteilsansprüche liquide bedient werden müssen.
Praxisfall 3 – Pflichtteil trotz Trennung
Ein vermögender Arzt lebt seit fünf Jahren getrennt von seiner Ehefrau, die er bislang nicht geschieden hat. Nach seinem plötzlichen Tod 2025 hinterlässt er 4 Mio. Euro Vermögen.
→ Die Ehefrau ist nach § 1931 Absatz 1 BGB zu ¼ erbberechtigt plus Zugewinnausgleich (§ 1371 Absatz 1 BGB), also ½ Anteil. Selbst ein Testament, das die Kinder als Alleinerben einsetzt, führt zu einem Pflichtteilsrecht der Ehefrau in Höhe von ¼ (die Hälfte des gesetzlichen Erbteils).
Dieser Fall verdeutlicht, wie lange bestehende Trennungen ohne rechtliche Konsequenzen die Erbquote ungewollt hochhalten.
Praxisempfehlung
Sobald eine dauerhafte Trennung besteht und keine Versöhnung zu erwarten ist, sollte frühzeitig geprüft werden:
- Scheidungsantrag einreichen, um § 1933 BGB auszulösen;
- Testament oder Erbvertrag anpassen;
- Pflichtteilsreduzierende Maßnahmen (z. B. lebzeitige Zuwendungen, Pflichtteilsverzicht) erwägen.
4. Güterrechtliche Überlebensklauseln und Gestaltungsmöglichkeiten
Neben dem eigentlichen Erbrecht beeinflusst der Güterstand maßgeblich die Vermögensverteilung im Todesfall. In der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 ff. BGB) erhöht sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten pauschal um ein Viertel (§ 1371 Abs. 1 BGB). Dies gilt jedoch nur, wenn die Ehe nicht geschieden ist.
In laufenden Scheidungsverfahren kann es zu Überschneidungen kommen: Das Scheidungsverfahren ist eingeleitet, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Verstirbt einer der Ehegatten in dieser Phase, entfällt der pauschale Zugewinnausgleich nach § 1371 BGB, wenn die Voraussetzungen des § 1933 BGB erfüllt sind.
Praxisfall 4 – Güterrechtlicher Vorteil entfällt
Ein Ehepaar lebt im gesetzlichen Güterstand. Der Mann beantragt die Scheidung, Zustellung erfolgt im August 2024. Er verstirbt im Januar 2025.
→ Da die Voraussetzungen für die Scheidung vorlagen, entfällt nicht nur das Erbrecht (§ 1933 BGB), sondern auch der pauschale Zugewinnausgleich nach § 1371 BGB. Stattdessen ist der güterrechtliche Zugewinn bis zum Todeszeitpunkt konkret zu berechnen.
Gestaltung durch Überlebensklauseln
In Eheverträgen oder gesellschaftsrechtlichen Nachfolgeklauseln finden sich häufig sog. Überlebensklauseln, wonach ein Ehegatte nur dann erben oder gesellschaftsrechtlich nachfolgen soll, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Todes noch besteht und kein Scheidungsverfahren anhängig ist.
Beispielhafte Formulierung:
Musterklausel – Güterrechtliche Überlebensklausel
„Das gesetzliche Ehegattenerbrecht und alle hiermit verbundenen güterrechtlichen Ansprüche stehen dem überlebenden Ehegatten nur zu, wenn zum Zeitpunkt des Todes weder ein Scheidungsantrag anhängig war noch die Voraussetzungen für eine Scheidung gemäß § 1565 BGB vorlagen. Andernfalls gelten die Ehegatten erbrechtlich als geschieden.“
Diese Klausel schafft Rechtssicherheit, sollte aber stets notariell geprüft und mit Pflichtteilsverzichten oder Erbverträgen abgestimmt werden.
5. Strategische Risikosteuerung in der Finanz- und Nachfolgeplanung
Für Berater ergeben sich aus dem Ehegattenerbrecht in der Scheidung verschiedene Handlungsfelder:
a) Nachlassplanung in der Trennung
- Testamente aktualisieren: Ausschluss oder Modifikation des Ehegattenerbrechts, ggf. Pflichtteilsreduzierung durch lebzeitige Zuwendungen oder Erbverzichtsverträge (§ 2346 BGB).
- Versicherungsverträge prüfen: Begünstigtenregelungen in Lebensversicherungen und Altersvorsorgeverträgen (z. B. § 167 Versicherungsvertragsgesetz – VVG) anpassen.
- Unternehmensklauseln: In Gesellschaftsverträgen prüfen, ob Nachfolgeklauseln an den Bestand der Ehe anknüpfen.
b) Steuerliche und liquiditätsorientierte Planung
Pflichtteilsansprüche sind als Geldansprüche sofort fällig (§ 2317 BGB) und können die Liquidität des Nachlasses gefährden. Durch rechtzeitige Verfügungen von Todes wegen, Vermögensübertragungen und Versicherungslösungen lässt sich das Risiko streuen.
c) Melde- und Dokumentationspflichten
Nach § 34 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) sind Erwerbe von Todes wegen innerhalb von drei Monaten anzuzeigen. Finanzplaner sollten ihre Mandanten auf diese Pflicht hinweisen, insbesondere wenn Ehegatten trotz Trennung noch erben oder Pflichtteilsansprüche geltend machen.
Auch Dokumentationspflichten nach dem Geldwäschegesetz (GwG) und im Rahmen des Transparenzregisters (§ 20 GwG) sind zu beachten, wenn Vermögensübertragungen auf Gesellschaftsebene erfolgen.
6. Zusammenführung: Rechtssicherheit durch aktive Nachfolgeplanung
Die Schnittstelle zwischen Familienrecht und Erbrecht wird in Scheidungsphasen häufig unterschätzt. Unklare testamentarische Regelungen, fehlende Aktualisierung von Versicherungen oder unterlassene Scheidungsanträge führen regelmäßig zu ungeplanten Vermögensübertragungen.
Für die Praxis gilt:
- Der Zeitpunkt des Scheidungsantrags und dessen Zustellung ist rechtlich entscheidend.
- Solange kein Antrag gestellt ist, bleibt das Ehegattenerbrecht vollständig bestehen.
- Pflichtteilsrechte entfallen nur unter den engen Voraussetzungen des § 1933 BGB.
- Güterrechtliche Überlebensklauseln schaffen zusätzliche Sicherheit, müssen aber mit steuerlichen und zivilrechtlichen Regelungen abgestimmt sein.
- Dokumentationspflichten und Nachweisführung (Zustellungsdatum, Aktenvermerk) sind elementar, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.
Anhang A – Handlungsschritte für die Praxis
| Nr. | Handlungsschritt | Ziel / Nutzen | Verantwortlich |
|---|---|---|---|
| 1 | Prüfung des aktuellen Ehe- und Güterstands | Ermittlung der Erbquote und Zugewinnausgleichsansprüche | Berater / Mandant |
| 2 | Klärung des Scheidungsstatus und Zustellungsdatums | Feststellung, ob § 1933 BGB greift | Anwalt / Nachfolgeplaner |
| 3 | Testamentarische und vertragliche Anpassung | Ausschluss unerwünschter Erbansprüche | Notar / Berater |
| 4 | Pflichtteilsverzicht oder Abfindungsregelung | Liquiditätssicherung | Rechtsanwalt / Steuerberater |
| 5 | Überprüfung von Versicherungs- und Begünstigungsklauseln | Vermeidung ungewollter Bezugsrechte | Finanzplaner |
| 6 | Güterrechtliche Überlebensklauseln in Gesellschaftsverträgen prüfen | Schutz von Unternehmensnachfolge | Gesellschaftsrechtlicher Berater |
| 7 | Steuerliche und Meldepflichten erfüllen | Vermeidung von Bußgeldern und Haftungsrisiken | Steuerberater |
| 8 | Dokumentation aller Entscheidungen | Nachweis im Streitfall | Mandant / Berater |
| 9 | Regelmäßige Aktualisierung (jährlich) | Anpassung an Lebenssituation | Berater |
Anhang B – Rechtliche Quellen und Fundstellen
| Bereich | Fundstelle / Norm | Inhalt / Bedeutung |
|---|---|---|
| Erbrecht | § 1931 BGB | Gesetzliches Erbrecht des Ehegatten |
| Erbrecht | § 1933 BGB | Wegfall des Ehegattenerbrechts bei Scheidung |
| Familienrecht | § 1565 BGB | Voraussetzungen der Scheidung |
| Güterrecht | § 1371 BGB | Zugewinnausgleich im Todesfall |
| Pflichtteilsrecht | § 2303 BGB | Pflichtteilsrecht des Ehegatten |
| Erbverzicht | § 2346 BGB | Vertraglicher Erbverzicht |
| Steuerrecht | § 34 ErbStG | Anzeigepflicht Erwerbe von Todes wegen |
| Gesellschaftsrecht | GmbHG § 15, HGB § 139 | Nachfolgeklauseln bei Gesellschaftern |
| Geldwäsche / Register | § 20 GwG | Mitteilungspflichten im Transparenzregister |
Anhang C – Zentrale Praxisimplikationen
| Thema | Bedeutung für die Beratung |
|---|---|
| Frühzeitige Antragstellung | Nur ein gestellter und zugestellter Scheidungsantrag kann § 1933 BGB auslösen. |
| Pflichtteilsfallen | Lange Trennungen ohne Antrag lassen Pflichtteilsrechte fortbestehen. |
| Güterrechtliche Überlebensklauseln | Wirksame Instrumente zur Risikobegrenzung in Eheverträgen und Gesellschaftsstatuten. |
| Aktualisierung von Testamenten und Begünstigungen | Pflicht nach Trennung; alte Testamente können zu Fehlverteilungen führen. |
| Steuerliche und Meldepflichten | Frühzeitige Anzeige an Finanzamt nach § 34 ErbStG verhindert Sanktionen. |
| Dokumentationspflicht | Zustellungsnachweis und Beratungsdokumentation sichern Beweislast. |