Der neue Maßstab des BFH: Mitunternehmerstatus beim Nießbrauch an Gesellschaftsanteilen
Mit Urteil vom 02.07.2025 (IV R 36/22) hat der Bundesfinanzhof (BFH) eine wegweisende Entscheidung zur steuerlichen Qualifizierung von Nießbrauchsrechten an Kommanditanteilen getroffen. Danach kann ein Nießbraucher nur dann als Mitunternehmer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gelten, wenn er Mitunternehmerinitiative entfaltet und Mitunternehmerrisiko trägt.
Fehlt die Beteiligung an stillen Reserven oder Verlusten, scheidet eine Mitunternehmerschaft aus – auch dann, wenn der Nießbraucher wirtschaftlich wesentliche Erträge bezieht.
Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Nachfolgeplanungen, in denen Unternehmensanteile häufig unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts übertragen werden, um Altersvorsorge, Einfluss und Ertragssicherung zu kombinieren.
Ausgangslage: Übertragung mit Nießbrauchsvorbehalt als Nachfolgeinstrument
In der Praxis werden Unternehmensanteile, insbesondere Kommanditanteile an Familien-KGs, häufig im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf die nächste Generation übertragen.
Dabei wird zugunsten des Seniors ein Nießbrauchsrecht bestellt, um ihm weiterhin die laufenden Erträge zu sichern, ohne dass er zivilrechtlich Gesellschafter bleibt.
Diese Gestaltung verfolgt drei zentrale Ziele:
- Erhalt der Versorgungssicherheit des Übergebers (regelmäßig durch Ertragsnießbrauch).
- Schrittweise Vermögensübertragung an die Nachfolger zur Nutzung von Freibeträgen nach § 13a ErbStG.
- Wahrung von Einflussrechten im Unternehmen (z. B. über Stimmrechte oder Zustimmungsvorbehalte).
Der BFH stellt mit dem aktuellen Urteil nun klar, dass die steuerliche Zurechnung der Gewinne nicht allein vom Ertrag zufließt, sondern von der unternehmerischen und rechtlichen Stellung des Nießbrauchers abhängt.
Der Streitfall: Vorweggenommene Erbfolge mit Ertragsnießbrauch
Der Kläger war alleiniger Kommanditist einer V-KG. Im Jahr 2013 übertrug er seine Kommanditanteile zu gleichen Teilen auf seine drei Söhne.
Zugleich wurde zugunsten des Klägers ein unentgeltlicher Ertragsnießbrauch in Höhe von 70 % der Gewinne bestellt. Außerdem mussten die Söhne ihre Anteile in eine neu gegründete F-KG einbringen, an der auch der Vater beteiligt war.
Das Finanzamt sah im Nießbraucher einen weiterhin verdeckten Mitunternehmer und rechnete ihm einen Teil des Gewinns zu. Der BFH hob diese Sicht auf und stellte klar:
Ein reiner Ertragsnießbraucher ohne Beteiligung an stillen Reserven oder Verlusten ist nicht Mitunternehmer.
Damit waren die Einkünfte den Söhnen zuzurechnen, obwohl sie zivilrechtlich große Teile der Gewinne an den Vater abführen mussten.
Steuerliche Kernaussagen des BFH
Mitunternehmerinitiative
Mitunternehmerinitiative setzt voraus, dass der Berechtigte unternehmerische Entscheidungen beeinflussen kann, etwa über Stimm-, Kontroll- oder Widerspruchsrechte.
Bei einem bloßen Nießbrauch besteht dieses Mitspracherecht nur, wenn es vertraglich ausdrücklich eingeräumt wird.
Mitunternehmerrisiko
Ein Nießbraucher trägt ein Mitunternehmerrisiko nur, wenn er am Gewinn, Verlust und an den stillen Reserven beteiligt ist oder ein Haftungsrisiko übernimmt.
Fehlt diese Komponente, handelt es sich steuerlich um Einkünfte aus Kapitalvermögen oder sonstige Einkünfte, nicht um gewerbliche Mitunternehmeranteile.
Praxisbeispiele und Gestaltungshinweise
Beispiel 1: Klassischer Ertragsnießbrauch zur Altersvorsorge
Ein Senior überträgt seinen Kommanditanteil auf seine Tochter und behält sich den Nießbrauch an den Gewinnen vor.
Er hat kein Stimmrecht und trägt keine Verluste.
→ Steuerliche Folge: Keine Mitunternehmerschaft. Die Gewinne sind der Tochter zuzurechnen, der Vater versteuert keine gewerblichen Einkünfte.
→ Praxisempfehlung: Steuerlastausgleich vertraglich regeln, da die Tochter Einkommensteuer auf Gewinne zahlt, die sie dem Vater weiterleitet.
Beispiel 2: Nießbrauch mit erweiterten Rechten
Der Senior überträgt Anteile, erhält aber ein vertraglich eingeräumtes Stimm- und Kontrollrecht sowie eine Beteiligung an den stillen Reserven bei Auflösung der Gesellschaft.
→ Steuerliche Folge: Mitunternehmerschaft möglich. Der Nießbraucher gilt als Mitunternehmer, Gewinne sind anteilig ihm zuzurechnen.
→ Praxisempfehlung: Dokumentation der Initiative- und Risikoelemente im Gesellschaftsvertrag, um Streit mit Finanzverwaltung zu vermeiden.
Beispiel 3: Kombination mit Vermögensverwaltungsgesellschaft
Die Anteile werden in eine Familien-KG eingebracht, an der die Kinder als Kommanditisten und der Senior als Komplementär beteiligt ist. Der Nießbrauch wird auf die Ausschüttungen der KG beschränkt.
→ Folge: Keine Mitunternehmerschaft, aber ertragsteuerlich klare Zurechnung an die Kinder.
→ Praxisempfehlung: Diese Variante eignet sich für altersvorsorgeorientierte Gestaltungen ohne operative Mitbestimmung.
Beispiel 4: Nießbrauch an GmbH-Anteilen
Bei Kapitalgesellschaften führt der Nießbrauch nicht zu Mitunternehmerschaft, sondern lediglich zu einem Bezugsrecht auf Dividenden (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG).
→ Praxisempfehlung: Unterschiedliche Behandlung gegenüber Personengesellschaften hervorheben, insbesondere bei hybriden Familienstrukturen (z. B. GmbH & Co. KG).
Beispiel 5: Verdeckte Mitunternehmerschaft vermeiden
In Betriebsprüfungen wird häufig versucht, Nießbraucher als „verdeckte Gesellschafter“ einzuordnen, wenn sie faktisch Entscheidungen treffen.
→ Praxisempfehlung: Gesellschaftsverträge regelmäßig auf faktische Einflussrechte prüfen, Dokumentation der Entscheidungsprozesse beifügen.
Gestaltungsfolgen für Nachfolgeplaner
Für Nachfolgeplaner ergeben sich aus dem BFH-Urteil mehrere Schlüsselimplikationen:
- Zurechnungslogik: Erträge folgen dem Eigentum, nicht dem Nießbrauch.
- Steuerlastverteilung: Bei Ertragsnießbrauch müssen Nachfolger die Steuer auf abzuführende Gewinne übernehmen.
- Gestaltungsrisiko: Unklare Regelungen zu Stimmrechten können zur steuerlichen Doppelbelastung führen.
- Dokumentationspflichten: Gesellschaftsvertrag, Schenkungsvertrag und Nießbrauchsbestellung müssen inhaltlich aufeinander abgestimmt sein.
- Erbschaftsteuerlich: Nießbrauch mindert den steuerpflichtigen Wert (§ 13a Abs. 2 ErbStG), ohne dass ertragssteuerliche Vorteile verloren gehen müssen.
Fazit
Das BFH-Urteil stärkt die Rechtssicherheit in der Nachfolgeplanung. Ein Nießbrauch am Kommanditanteil führt nur dann zu Mitunternehmerschaft, wenn Risiko und Initiative auf den Nießbraucher übergehen.
Damit wird klargestellt, dass die zivilrechtliche Gestaltung steuerlich präzise abgebildet werden muss – insbesondere bei mehrstufigen Familienstrukturen oder Holding-KGs.
Anhang A: Handlungsschritte für die Praxis
| Nr. | Handlungsschritt | Ziel / Hinweis |
|---|---|---|
| 1 | Analyse der Beteiligungsverhältnisse | Klärung von Stimm- und Gewinnrechten |
| 2 | Vertragsprüfung des Gesellschaftsvertrags | Erfassung von Einflussrechten des Nießbrauchers |
| 3 | Anpassung der Nießbrauchsvereinbarung | Klare Abgrenzung von Initiative und Risiko |
| 4 | Steuerliche Simulation | Prognose der Gewinnzurechnung und Steuerlast |
| 5 | Regelung zur Steuerübernahme | Vermeidung der Steuerbelastung bei Nachfolgern |
| 6 | Dokumentation der Entscheidungsprozesse | Beweisvorsorge bei Betriebsprüfung |
| 7 | Prüfung der ErbSt- und GrESt-Folgen | Gesamtbetrachtung der Nachfolgeregelung |
| 8 | Regelmäßige Vertragsüberprüfung | Anpassung an BFH- und BMF-Rechtsprechung |
| 9 | Integration in Nachfolgekonzept | Abstimmung mit Vorsorge- und Vermögensplanung |
| 10 | Mandantenaufklärung und Dokumentation | Haftungssicherheit für Berater schaffen |
Anhang B: Rechtliche Grundlagen und Quellen
| Quelle | Inhalt / Bedeutung |
|---|---|
| § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG | Definition Mitunternehmerschaft |
| § 39 Abs. 2 AO | Zurechnung wirtschaftlichen Eigentums |
| § 13a ErbStG | Steuerliche Begünstigung bei Betriebsvermögen |
| BFH, Urt. v. 02.07.2025 – IV R 36/22 | Leitentscheidung zum Nießbrauch an KG-Anteilen |
| BFH, Urt. v. 17.12.2014 – IV R 57/11 | Frühere Rechtsprechung zur Mitunternehmerstellung |
| BMF-Schreiben v. 11.07.2023 | Hinweise zur steuerlichen Behandlung von Nießbrauchsrechten |
| HGB §§ 161–177a | Rechtsstellung von Kommanditisten |
| BGB §§ 1030–1089 | Nießbrauchsrechtliche Grundlagen |
Anhang C: Zentrale Praxisimplikationen
| Thema | Bedeutung für die Beratung |
|---|---|
| Mitunternehmerinitiative | Muss ausdrücklich vereinbart werden, sonst keine steuerliche Mitunternehmerschaft |
| Mitunternehmerrisiko | Nur bei Beteiligung an Verlusten oder stillen Reserven gegeben |
| Steuerlastverteilung | Bei Ertragsnießbrauch immer klare Übernahmeregelung notwendig |
| Nachfolgegestaltung | Nießbrauch als Instrument zur Versorgung und schrittweisen Vermögensübertragung |
| Prüfsichere Dokumentation | Gesellschafts- und Nießbrauchsvertrag müssen konsistent sein |