Ein Land erbt – und der Staat verdient mit
Noch nie hat der Fiskus in Deutschland so viel aus Erbschaften und Schenkungen eingenommen wie im Jahr 2024. Nach den jüngsten Zahlen der Finanzverwaltung überstiegen die Einnahmen erstmals die Marke von 12 Milliarden Euro. Das entspricht einer Verdopplung innerhalb von zehn Jahren – eine stille, aber stetige Verschiebung im Vermögenstransfer zwischen den Generationen.
Doch hinter den Rekordzahlen steht mehr als nur Statistik: Es geht um eine gesellschaftliche Dynamik, die Finanz- und Nachfolgeplaner unmittelbar betrifft. Denn die Zahl der Erbfälle steigt, die Vermögen wachsen – und die steuerlichen Spielräume werden enger.
Ursachen: Demografie, Vermögensinflation und politische Signale
Drei Faktoren befeuern den Anstieg:
- Demografischer Druck. Die Generation der Babyboomer erreicht das Übergabealter. In den kommenden zehn Jahren werden nach Schätzungen der Deutschen Bundesbank über 3 Billionen Euro an Vermögen vererbt oder verschenkt.
- Inflation der Sachwerte. Immobilien, Beteiligungen und Kunstwerke haben seit 2010 erheblich an Wert gewonnen – was bei unveränderten Freibeträgen automatisch zu höheren Steuerlasten führt.
- Reformdiskussionen. Die wiederkehrenden Debatten um eine Verschärfung der Erbschaftsteuer (§§ 13a, 13b ErbStG) sorgen für Unsicherheit und führen häufig zu vorgezogenen Übertragungen („Schenken statt vererben“).
Für Berater bedeutet das: Nie war die Schnittstelle aus steuerlicher Gestaltung, familiärer Kommunikation und Vermögensstrukturierung so relevant wie heute.
Steuerliche Entwicklung: Die kalte Progression im Erbfall
Während Freibeträge seit 2009 unverändert sind (500 000 € für Ehegatten, 400 000 € für Kinder), steigen Bewertungsansätze und Gutachterwerte kontinuierlich. Besonders im Bereich Immobilienbewertung nach § 157 BewG führt das zu versteckten Steuererhöhungen.
Ein Beispiel:
- Ein Einfamilienhaus, 2010 mit 450 000 € bewertet, liegt heute bei 850 000 €.
- Vererbt an das einzige Kind, entsteht ein steuerpflichtiger Erwerb von 450 000 € – selbst wenn das Objekt noch bewohnt wird.
- Bei Steuersatz 15 % (Steuerklasse I, § 19 ErbStG) ergibt das rund 67 500 € Erbschaftsteuer – obwohl der Freibetrag formal nicht geändert wurde.
Gesellschaftliche Dimension: Wenn Vermögen zur Belastung wird
Immer häufiger erleben Berater Familien, in denen Immobilienerbschaften zu Liquiditätsproblemen führen. Erben müssen verkaufen, um Steuern zu zahlen – oder Kredite aufnehmen, obwohl sie „reich“ erben. Diese paradoxe Situation zeigt, wie dringend eine vorausschauende Gestaltung nötig ist.
Besonders bei Patchwork-Familien, Unternehmensnachfolgen oder mehreren Immobilienstandorten können unklare Testamente oder ungenutzte Freibeträge schnell zur Steuerfalle werden. Finanz- und Nachfolgeplaner nehmen hier eine Schlüsselrolle ein: Sie übersetzen Komplexität in handlungsfähige Strukturen.
Praxisbeispiel: Die Familie Krüger
Herr Krüger, 72, Unternehmer im Ruhestand, besitzt eine GmbH-Beteiligung (Wert 3 Mio. €), ein vermietetes Mehrfamilienhaus (1,2 Mio. €) und ein Wertpapierdepot (800 000 €).
Er möchte seine Tochter rechtzeitig absichern, ohne das Unternehmen zu gefährden.
Gemeinsam mit seinem Berater prüft er folgende Schritte:
- Vorweggenommene Schenkung von 25 % der GmbH-Anteile mit Nießbrauchsvorbehalt (§ 13a ErbStG) – steuerbegünstigt bis 85 %.
- Übertragung des Depots in mehreren Tranchen – um Freibeträge alle zehn Jahre neu zu nutzen (§ 14 ErbStG).
- Erstellung eines Ehe- und Erbvertrags, der Pflichtteilsansprüche begrenzt und Unternehmensnachfolge regelt.
Ergebnis: Steuerersparnis von über 600 000 € und klare Nachfolgeregelung ohne familiäre Konflikte.
Beratungsperspektive: Haltung und Struktur statt Aktionismus
Die wachsende Steuerbelastung verleitet viele Mandanten dazu, „noch schnell“ zu schenken. Doch nachhaltige Nachfolgeplanung ist kein Sprint, sondern ein Prozess.
Professionelle Berater agieren in drei Phasen:
- Analysephase – Erfassung von Vermögen, Familienstruktur, Zielen, rechtlichen Bindungen.
- Gestaltungsphase – Entwicklung von Steuer-, Vermögens- und Nachfolgestrategien (Testamente, Nießbrauch, Güterstandsschaukel, Familiengesellschaft).
- Umsetzungsphase – Begleitung bei Notar, Steuerberater, Hausbank, ggf. Testamentsvollstrecker.
Wer diese Struktur konsequent nutzt, schafft Vertrauen und vermeidet teure Fehlentscheidungen.
Politische Perspektive: Zwischen Gerechtigkeit und Substanzverlust
Die aktuelle Diskussion über „gerechte Besteuerung“ zeigt, wie emotional das Thema ist. Befürworter einer Reform argumentieren mit Chancengleichheit, Gegner warnen vor Substanzverlust und Innovationshemmnis.
Für Finanzplaner bleibt entscheidend, dass sie Mandanten rechtzeitig auf mögliche Änderungen hinweisen – etwa bei der Bewertung von Betriebsvermögen (§§ 13a–13c ErbStG) oder der Nutzung von Familiengesellschaften (§ 15 BewG).
Handlungsempfehlungen für die Praxis
| Handlungsschritte | Ziel / Nutzen |
|---|---|
| Vermögensinventar anlegen und bewerten | Überblick über steuerliche Relevanz und Freibeträge schaffen |
| Freibeträge strategisch nutzen (10-Jahres-Takt) | Steuerlast senken, Gestaltungsspielraum erhöhen |
| Familiengesellschaft prüfen (GbR, GmbH & Co. KG) | Schutz vor Zersplitterung, planbare Übertragung |
| Testament und Erbvertrag rechtlich prüfen | Konfliktvermeidung, Pflichtteilssteuerung |
| Steuerliche Simulationen durchführen | Transparenz und Vergleichbarkeit schaffen |
| Frühzeitige Kommunikation mit Erben | Akzeptanz und Klarheit fördern |
Rechtliche Quellen (Auszug)
| Rechtsquelle / Paragraf | Inhalt / Bedeutung |
|---|---|
| § 13a ErbStG | Begünstigung von Betriebsvermögen |
| § 13b ErbStG | Definition des begünstigten Vermögens |
| § 14 ErbStG | Wiederkehrende Freibeträge nach 10 Jahren |
| § 19 ErbStG | Steuersätze nach Steuerklassen |
| § 157 BewG | Bewertung von Grundstücken |
| § 15 BewG | Bewertung von Anteilen an Gesellschaften |
Praxisimplikationen für Finanz- und Nachfolgeplaner
| Beratungsfeld | Implikation |
|---|---|
| Vermögensstrukturierung | Höherer Handlungsdruck durch steigende Bewertungsansätze |
| Generationenberatung | Familieninterne Kommunikation wird erfolgsentscheidend |
| Steueroptimierung | Nutzung aller Freibeträge und Begünstigungen zwingend |
| Liquiditätsplanung | Steuerzahlungen als Cash-Flow-Risiko in die Finanzplanung integrieren |
| Unternehmernachfolge | Kombination aus Gesellschaftsrecht, Steuerrecht und Familienrecht erforderlich |
Fazit
Die Rekordeinnahmen bei der Erbschaftsteuer sind kein Zufall, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Politik und Gesetzgebung auf Anpassung oder Verschärfung setzen. Für Berater ist klar: Wer heute planvoll agiert, schützt morgen Familienfrieden und Vermögenssubstanz.
Leitsatz: Nachfolge planen heißt: Familienfrieden sichern, Steuern vermeiden.