Grenzüberschreitende Erbschaften werden zunehmend komplizierter, insbesondere wenn es um die Frage geht, welches Recht zur Anwendung kommt. Ein zentrales Kriterium hierbei ist der „gewöhnliche Aufenthaltsort“ des Verstorbenen. Die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) regelt, dass das Recht des Landes gilt, in dem der Verstorbene zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Doch was passiert, wenn dieser Aufenthaltsort nicht eindeutig ist?
Der Fall: Deutscher Staatsbürger in einem polnischen Pflegeheim
Ein Fall vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe (Aktenzeichen: 14 W 32/18) beleuchtet diese Problematik. Ein deutscher Staatsbürger, der aufgrund von Demenz in ein polnisches Pflegeheim gebracht wurde, verstarb dort. Das deutsche Nachlassgericht verweigerte der Ehefrau einen deutschen Erbschein, da es den gewöhnlichen Aufenthaltsort in Polen sah, wodurch polnisches Erbrecht gelten sollte. Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied jedoch, dass der gewöhnliche Aufenthaltsort weiterhin in Deutschland lag, da der Verstorbene unfreiwillig nach Polen gebracht wurde und keine dauerhafte Absicht hatte, dort zu bleiben.
Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes
Die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes erfordert eine differenzierte Betrachtung:
- Objektive Kriterien: Hierzu zählt die Dauer des Aufenthalts in einem Land und die Integration in die dortigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
- Subjektive Kriterien: Der Wille des Verstorbenen, dauerhaft an einem Ort zu bleiben, spielt eine entscheidende Rolle. Im genannten Fall war dieser Wille nicht vorhanden, da der Umzug ins Ausland unfreiwillig erfolgte.
- Pflege im Ausland: Die Unterbringung in einem ausländischen Pflegeheim führt nicht automatisch zur Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes, insbesondere wenn keine Bindungen zum neuen Land bestehen.
Rechtliche Implikationen und Empfehlungen
Dieser Fall zeigt, wie komplex grenzüberschreitende Erbschaften sein können. Es ist daher ratsam, bereits zu Lebzeiten klar zu dokumentieren, wo der gewöhnliche Aufenthaltsort gesehen wird und welches Erbrecht im Falle des Todes gelten soll. Eine frühzeitige rechtliche Beratung kann helfen, spätere Unsicherheiten zu vermeiden.
Fazit
Der gewöhnliche Aufenthaltsort spielt eine wesentliche Rolle bei der Erbfolge, vorwiegend bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Der Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe verdeutlicht die Relevanz des subjektiven Willens des Verstorbenen und unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Planung, um potenzielle Streitigkeiten nach dem Tod zu vermeiden.
Checkliste für die Beratung bei grenzüberschreitenden Erbschaften
Kriterium | Fragen/Prüfungspunkte | Erledigt |
---|---|---|
Gewöhnlicher Aufenthaltsort | – Wo lebte der Erblasser zuletzt dauerhaft? | |
– Gab es einen klaren Willen, dort zu bleiben? | ||
– Wurde der Aufenthalt freiwillig oder unfreiwillig gewählt? | ||
Soziale und wirtschaftliche Bindungen | – Gab es soziale Bindungen (Freunde, Familie, Integration) im letzten Wohnsitzland? | |
– Welche wirtschaftlichen Beziehungen bestanden im Aufenthaltsland (Arbeit, Vermögen)? | ||
Dokumentation des Willens | – Ist der Bleibewille des Erblassers schriftlich dokumentiert (z. B. im Testament)? | |
– Besteht eine Patientenverfügung oder andere relevante Dokumente? | ||
Rechtswahl und Erbschaftsplanung | – Wurde im Testament explizit das anzuwendende Erbrecht festgelegt? | |
– Sind die Erben über die relevanten nationalen und internationalen Rechtsvorschriften informiert? | ||
Pflege im Ausland | – War der Erblasser in einem ausländischen Pflegeheim? | |
– Warum wurde das Pflegeheim im Ausland gewählt (z. B. finanzielle Gründe, Nähe zur Familie)? | ||
Steuerliche Aspekte | – Welche steuerlichen Folgen ergeben sich aus dem grenzüberschreitenden Erbfall? | |
– Gibt es Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den betroffenen Ländern? | ||
Nachlassabwicklung | – Wo soll die Nachlassabwicklung erfolgen? | |
– Ist die Nachlassregelung in beiden betroffenen Ländern abgestimmt? | ||
Rechtsberatung | – Wurde eine rechtliche Beratung in den relevanten Ländern eingeholt? | |
– Sind alle rechtlichen Schritte dokumentiert und nachvollziehbar? |
Diese Checkliste soll Finanz- und Nachfolgeplanern helfen, alle relevanten Aspekte in grenzüberschreitenden Erbfällen systematisch zu prüfen und sicherzustellen, dass keine wichtigen Details übersehen werden.