Wenn Kinder, Ehepartner oder Eltern enterbt werden, entstehen regelmäßig Pflichtteilsansprüche in Bezug auf den Nachlass. Wird der Nachlass durch Schenkungen zu Lebzeiten verringert, können Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2325 Abs. 1 BGB entstehen. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen einer Schenkung (§ 516 BGB). In der Praxis kann diese scheinbar einfache Voraussetzung zu Streitigkeiten führen, wie eine aktuelle Entscheidung des OLG Saarbrücken zeigt. Diese befasste sich mit einem Zuwendungsnießbrauch und den damit verbundenen Pflichtteilsergänzungsansprüchen.
Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen
- Schutz des Pflichtteilsberechtigten Die Regelungen in den §§ 2325 ff. BGB sollen verhindern, dass Pflichtteilsansprüche durch Schenkungen des Erblassers ausgehöhlt werden. Der Pflichtteilsberechtigte kann vom Erben den Betrag verlangen, um den sich sein Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird (§ 2325 Abs. 1 BGB). Ein unentgeltlicher Zuwendungsnießbrauch kann einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben des Schenkers auslösen, wenn der Nießbrauch weniger als zehn Jahre vor dem Tod des Schenkers bestellt wurde und beim Tod des Schenkers bisher nicht erloschen ist.Hinweis: Liegen diese Voraussetzungen vor, wird der ergänzungspflichtige Wert des Geschenks durch das Produkt des jährlichen Reinertrags des Nießbrauchs und des Vervielfältigers aus Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz bestimmt.
- Vorliegen einer Schenkung Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch setzt voraus, dass der Erblasser eine Schenkung im Sinne des § 516 BGB vorgenommen hat. Das bedeutet eine Zuwendung, die den Empfänger aus dem Vermögen des Gebers bereichert und bei der beide Parteien sich einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Bei einer sogenannten gemischten Schenkung müssen die Parteien die teilweise Unentgeltlichkeit der Zuwendung vereinbaren.Beispiel: Die vereinbarte Anwachsung von Gesellschaftsanteilen unter Ausschluss eines Abfindungsanspruchs kann im Todesfall des Erblassers eine Schenkung darstellen. Wenn die Gesellschafterin durch die abfindungsfreie Anwachsung der Gesellschaftsanteile bereichert wird, ist dies eine unentgeltliche Zuwendung.Entscheidend für die Feststellung der Unentgeltlichkeit ist das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung beim Vertragsvollzug. Das sogenannte Niederstwertprinzip gemäß § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB dient allein der Bewertung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs, nicht der Frage, ob eine Schenkung vorliegt.Hinweis: Der Pflichtteilsberechtigte muss nachweisen, dass ein bestimmter Gegenstand zum Nachlass gehörte und unentgeltlich auf einen Dritten übertragen wurde.
- Nießbrauch als Schenkung Ein Nießbrauch liegt vor, wenn eine Sache so belastet wird, dass der Berechtigte die Nutzungen der Sache ziehen darf (§ 1030 Abs. 1 BGB). Unterschieden wird zwischen einem Vorbehalts- und einem Zuwendungsnießbrauch. Ein Vorbehaltsnießbrauch liegt vor, wenn der Schenker bei der Übertragung des Eigentums ein Nutzungsrecht vorbehält. Ein Zuwendungsnießbrauch liegt vor, wenn einer anderen Person ein Nießbrauch eingeräumt wird, ohne das Eigentum zu übertragen. Bestellt der Erblasser einem Dritten einen Zuwendungsnießbrauch, kann dies einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auslösen, wenn die Unentgeltlichkeit vereinbart wurde.
Entscheidung des OLG Saarbrücken
- Sachverhalt und Verfahren Nach dem Tod ihrer Mutter am 19.12.2017 stritten die Geschwister A, B und C um Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche. Mit notariellem Testament vom 9.2.2017 widerrief die Mutter alle früheren Verfügungen von Todes wegen und setzte ihren Sohn B als Alleinerben ein, während sie A und C mit Vermächtnissen belastete.Am gleichen Tag schloss sie einen notariellen Übergabevertrag mit ihrem Enkel S und ihrem Sohn B. Sie übertrug S den von ihr bewohnten Grundbesitz und behielt sich ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht vor. Zugleich bestellte sie zugunsten von B ein aufschiebend bedingtes lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht, das beim Tod der Mutter entstehen sollte.Das Landgericht Saarbrücken wies die Klage ab, da keine Schenkung der Erblasserin vorlag. Die Zuwendung des Nießbrauchs erfolgte aus dem Vermögen des S, der Eigentümer des Grundbesitzes war. Auch war die Zuwendung angesichts des Pflichtteilsverzichts von B nicht unentgeltlich. Das OLG Saarbrücken bestätigte diese Entscheidung.
- Entscheidungsgründe Trotz des Wortlauts des notariellen Vertrags stellte das Gericht fest, dass keine Schenkungsabrede zwischen der Erblasserin und B vorlag.a) Vertragswortlaut spricht für eine Schenkungsabrede: Der Wortlaut der notariellen Urkunde sprach für eine Schenkung, da keine Gegenleistung vereinbart war.b) Gegen eine Unentgeltlichkeit der Vereinbarung sprechende Umstände: Das Gericht berücksichtigte das Gesamtverhalten der Erklärenden. Die Erblasserin erhielt ein ausreichendes Äquivalent, da S die Zahlung von 50.000 € versprach und sich der Zwangsvollstreckung unterwarf. Der Nießbrauch war daher keine unentgeltliche Zuwendung.c) Keine Vermutung für eine vereinbarte Unentgeltlichkeit: Das Gericht stellte kein grobes Missverhältnis zwischen den Leistungen fest, das eine Vermutung für eine Schenkung rechtfertigen würde.
Fazit
Das Urteil des OLG Saarbrücken verdeutlicht, dass die Feststellung eines „geschenkten“ Zuwendungsnießbrauchs trotz klarer Formulierungen in einer notariellen Urkunde komplex sein kann. In der Praxis ist es wichtig, vertragliche Gestaltungen sprachlich präzise zu fassen, um Missverständnisse und Streitigkeiten zu vermeiden.