
1. Einleitung mit Relevanz für die Praxis
In der Nachfolgeplanung stellt sich regelmäßig die Frage, wie vermögensrechtliche Ansprüche von Ehegatten im Todesfall behandelt werden. Besonders relevant ist dies im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Finanz- und Nachfolgeplaner stehen vor der Wahl, ob die pauschale erbrechtliche Lösung gemäß § 1371 Abs. 1 BGB oder die güterrechtliche Abrechnung mit tatsächlichem Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 1373 ff. BGB vorzuziehen ist. Diese Entscheidung hat sowohl juristische als auch erhebliche steuerliche Konsequenzen. Der Beitrag beleuchtet die Rechtslage, vergleicht die Varianten in ihrer steuerlichen Auswirkung und gibt konkrete Handlungsempfehlungen für die Beratungspraxis – einschließlich eines Zahlenbeispiels zur Veranschaulichung.
2. Juristische Grundlagen (§ 1371 BGB, § 5 ErbStG)
Gesetzliche Regelung im Todesfall
Verstirbt ein Ehegatte, so wird die Zugewinngemeinschaft kraft Gesetzes aufgelöst (§ 1372 BGB). Grundsätzlich sind zwei Optionen zur Abwicklung des Zugewinnausgleichs im Todesfall möglich:
a) Pauschale Lösung (§ 1371 Abs. 1 BGB):
Der überlebende Ehegatte erhält den Zugewinnausgleich nicht gesondert, sondern fiktiv in Form einer Erhöhung seiner erbrechtlichen Quote. Bei gesetzlicher Erbfolge steigt der Erbteil des Ehegatten von ¼ auf ½. Bei Enterbung kann der Ehegatte den „kleinen Pflichtteil“ (Pflichtteil ohne Erhöhung) und zusätzlich den tatsächlichen Zugewinnausgleich nach § 1378 BGB verlangen.
b) Tatsächliche Abrechnung (§ 1371 Abs. 2 BGB):
Alternativ kann der überlebende Ehegatte die Erbschaft ausschlagen und stattdessen seinen Pflichtteil und den konkreten Zugewinnausgleich verlangen. Dies ist insbesondere bei Enterbung oder geringem tatsächlichem Zugewinn des Verstorbenen sinnvoll.
Bedeutung des § 5 ErbStG
§ 5 ErbStG bestimmt, dass der zivilrechtliche Zugewinnausgleich im Todesfall steuerfrei bleibt, sofern dieser konkret geltend gemacht wird. Dagegen unterliegt der pauschale Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB vollständig der Erbschaftsteuer, auch wenn er wirtschaftlich den gleichen Ausgleich bezweckt.
3. Steuerliche Bewertung der Varianten
Die steuerliche Belastung unterscheidet sich je nach gewählter Variante erheblich:
Variante | Zivilrechtlicher Zugewinnausgleich | Erbschaftsteuerliche Behandlung |
---|---|---|
§ 1371 Abs. 1 BGB (pauschal) | Zugewinn wird fiktiv abgegolten durch höheren Erbteil | Vollständig steuerpflichtig als Erbanfall |
§ 1371 Abs. 2 BGB (tatsächlich) | Zugewinnausgleich real berechnet und ggf. zusätzlich zum Pflichtteil geltend gemacht | Zugewinnausgleich steuerfrei (§ 5 ErbStG); Pflichtteil steuerpflichtig |
Beratungshinweis:
Der konkrete Zugewinnausgleich kann insbesondere bei hohen Zugewinndifferenzen und Enterbung des Ehegatten die steuerlich günstigere Variante sein. Die Steuerlast kann reduziert werden, wenn der Ehegatte die Erbschaft ausschlägt und stattdessen seinen kleinen Pflichtteil plus Zugewinnausgleich geltend macht.
4. Fallbeispiel mit konkreten Zahlen
Sachverhalt:
Der Ehemann H verstirbt. Die Ehefrau F lebt mit ihm im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Beide haben keine Kinder. H setzt in seinem notariellen Testament seinen Neffen N als Alleinerben ein. F ist enterbt. Das Vermögen des H beträgt 1,2 Mio. €, das der F 300.000 €. Der Zugewinn von H beträgt 800.000 €, der der F 100.000 € – der Zugewinnausgleichsanspruch liegt also bei (800.000 € – 100.000 €)/2 = 350.000 €.
Variante A – Erbantritt (§ 1371 Abs. 1 BGB):
F nimmt die Erbschaft nicht an, sondern erhält nur den kleinen Pflichtteil (1/8 von 1,2 Mio. € = 150.000 €). Der Zugewinn wird nicht konkret ausgeglichen. Ergebnis: 150.000 € steuerpflichtig.
Variante B – Erbausschlagung und Zugewinnausgleich (§ 1371 Abs. 2 BGB):
F schlägt die Erbschaft aus und verlangt den kleinen Pflichtteil (150.000 €) plus Zugewinnausgleich von 350.000 €.
Steuerlich:
- Pflichtteil 150.000 € = steuerpflichtig (abzgl. Freibetrag 500.000 €)
- Zugewinn 350.000 € = steuerfrei (§ 5 ErbStG)
Vorteil: Einsparung der Steuer auf 350.000 €.
5. Handlungsempfehlung für die Beratungspraxis
- Zugewinn berechnen lassen: Vor jeder Entscheidung ist eine konkrete Berechnung des Zugewinns beider Ehegatten nötig. Nur auf dieser Grundlage kann eine fundierte Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft getroffen werden.
- Erbausschlagung strategisch prüfen: Bei Enterbung oder geringem tatsächlichen Erbteil lohnt häufig die Ausschlagung der Erbschaft zugunsten eines steuerfreien Zugewinnausgleichs plus Pflichtteil.
- Freibeträge ausschöpfen: Der Freibetrag von 500.000 € zwischen Ehegatten kann bei richtiger Gestaltung vollständig genutzt werden, insbesondere bei der Kombination aus Pflichtteil und steuerfreiem Zugewinn.
- Gestaltungsberatung aktiv anbieten: Die Frage des Zugewinnausgleichs ist kein reines Nachlassproblem, sondern betrifft unmittelbar die steueroptimierte Gestaltung der Nachfolge – ein zentraler Beratungsansatz für Finanzplaner.
- Verfügungen frühzeitig prüfen: In Testamenten sollte bewusst zwischen der pauschalen und der konkreten Zugewinnregelung gewählt werden. Eine klare Formulierung kann spätere Streitigkeiten und unnötige Steuerbelastungen vermeiden.
Literaturverzeichnis
- BGH, NJW 2012, 672 – Zur Anwendbarkeit von § 1371 BGB bei Enterbung
- MüKoBGB/Weber, 9. Aufl. 2022, § 1371 Rn. 1 ff.
- Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 5 Rn. 10 ff.
- Wilms/Jochum, Erbschaftsteuerrecht, 21. Aufl. 2023
- Bornhofen, ZEV 2017, 265 – „Der Zugewinnausgleich im Erbfall: Chancen und Risiken“
- Fischer, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Aufl. 2021, § 1371 BGB
- BFH, Urteil vom 14.3.2007 – II R 21/05, BStBl II 2007, 503 – zur Abgrenzung steuerfreier Ausgleichszahlungen